Die heroische Moral des Nihilismus:Schiller und Alfieri by Paolo Panizzo
Autor:Paolo Panizzo
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2019-03-15T00:00:00+00:00
Am Ende des zweiten Aktes darf die Aufmerksamkeit des Lesers somit auf die folgenden Schachzüge des Tyrannen gespannt bleiben. Filippos peremptorische ÃuÃerung âpensaiâ â âIch habâs bedachtâ â verfolgt hier eigentlich das gleiche Ziel seiner anfänglichen, an Gomez gerichtete Bemerkung, ihm schwelle âein groÃer Plan den Busenâ.1396 Wie Filippos âgroÃer Planâ im zweiten Akt auf ein vom König selbst inszeniertes âSchauspielâ vorausweist, signalisiert auch sein âpensaiâ am Ende des Aufzuges, dass das, was im dritten Akt folgen wird, wiederum als Teil einer wohl durchdachten Strategie des Machthabers zu interpretieren sein wird.
Wie sich bald zeigt, werden die vom Dichter erweckten Erwartungen nicht enttäuscht. Als nächstes âSchauspiel im Schauspielâ wird der vom König einberufene âRat des Gewissensâ im dritten Akt aufgeführt, wobei der Machthaber erneut Regie und Hauptrolle für sich in Anspruch nimmt. Dabei hat sich Filippo vorgenommen, Carlo des versuchten Vatermordes zu beschuldigen. Das Talent des Machthabers für das Theatralische macht sich gleich zum Anfang der Szene wieder bemerkbar, da Filippo in dramatisierter, hoch pathetischer Sprache seinen bemitleidenswerten Zustand eines entkommenen Opfers und zugleich eines gezwungenen Anklägers des eigenen Sohnes darstellt:
Wache! Niemand ist
Der Zutritt hier verstattet. â Wenâge nur,
Doch Treue und Geprüfte, hab ich jetzt
Um mich versammelt, Rath zu pflegen â ach â
In einer unerhörten Sache! â Jeder
Leihâ mir sein Ohr! â Doch welches bange Schrecken
Ergreift mich, ehâ das erste Wort ich finde!
Mein Blut erstarret in den Adern mir,
Das Auge füllt mit einer Thräne sich. â
Den herben Schmerz des Herzens auszudrücken,
Versagt die Stimme zitternd mir beinahe
Den Dienst â und dennoch muà ich sprechen â ja,
Ich muà â das Vaterland gebeutâs â nicht ich!
Wer glaubt es wohl, als Kläger tretâich heut
In eurer Mitte auf â denn Richter â dies
Vermag ich nicht zu seyn â1397
Im gleichen pathetischen Duktus beschreibt Filippo Carlos âim dunklen Schatten / Der Nachtâ ausgeführten Vatermordversuch, wobei er nicht von ungefähr das historische Präsens, das auch in der hier zitierten deutschen Ãbersetzung wiedergegeben wird, verwendet, um den Unmittelbarkeitseffekt der vermeintlichen frevelhaften Handlung rhetorisch zu steigern:
Schweigend nahet er dem stillen
Gemach des Vaters, die ruchlose Hand
Mit einem vatermörderischen Stahl
Bewaffnet, und bedrohet schon von hinten
Mein Leben. â Schon erhebet er den Arm,
Schon zückt den Dolch er über seines Vaters
Schutzlose Brust.1398
Der Leser mag zunächst geneigt sein zu glauben, dass das, was bei so viel Entrüstung und Pathos im feierlichen Rahmen eines berühmt-berüchtigten âRats des Gewissensâ vom König vorgetragen wird, auch vollkommen folgerichtig und plausibel sein soll. Dass dem offensichtlich nicht so ist â dass das Pathos von Filippos Rede umgekehrt proportional zur Stichhaltigkeit seiner Darstellung ist, macht Carlos Freund Perez unmittelbar danach auf offener Bühne deutlich. Folgt man der Anklage des Monarchen, so soll der Prinz zum einen versucht haben, den Vater zu ermorden; zum anderen soll er sowohl mit den Niederländern als auch mit den Franzosen intrigiert haben. Doch warum â so fragt Perez nicht ohne Evidenz â hätte er das eigene Reich, in dessen Besitz er durch die Beseitigung des Vaters gekommen wäre, mit den Niederländern und den Franzosen teilen wollen? Warum hätte er umgekehrt den Vatermord versucht, wenn er vorgehabt hätte,
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