Die durchsichtigen Hände by Xaver Bayer

Autor:Xaver Bayer [Bayer, Xaver]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Jung und Jung Verlag
veröffentlicht: 2015-05-14T16:00:00+00:00

Engagierte Literatur

Der Autor wird beschließen, den Text mit einem Fragesatz beginnen zu lassen:

Welche Konsequenzen hätte es, wenn ich auf künstlerisch gestaltete Weise ankündigen würde, Amok zu laufen? Wahrscheinlich nur die, die vorherzusehen sind. Vielleicht würde der eine oder andere Rezensent eine Andeutung wagen, und dieser oder jener Leser würde für Sekunden oder Minuten mit dem Gedanken spielen: Was, wenn dieser Typ, der Autor, das dann aber wirklich tut? Aber wer von ihnen, ob Rezensent oder Leser, würde deshalb die Polizei verständigen, und selbst wenn: Was könnte die Polizei unternehmen?

So ist das, und weil das so ist, werden die, die üblicherweise bei der persönlichen Begegnung mit einem Schriftsteller nichts anderes zu fragen wissen, als ob das, was er schreibe, autobiographisch sei, bloß über die sogenannte Freiheit der Kunst räsonieren, wenn überhaupt.

Dann, nach dem Amoklauf, werden sie es ja doch irgendwie in ihrem Inneren geahnt haben, dass das nicht nur so ein Provokationstext war, aber dass dieser Autor zu solch einer Herostratentat de facto fähig sei, das hätten sie nicht gedacht. Fürchterlich, so das ziemlich einhellige Ersturteil nach der Tat, und nur wenige werden sich selbst eingestehen zu denken: Hut ab! Wieder andere werden (zu Recht) kritisieren, der Autor habe durch die Vorankündigung seiner Tat der Legitimation von Putativmaßnahmen seitens der Staatsmacht gegenüber verdächtigen Personen Vorschub geleistet, Stichwort Vorbeugehaft, Online-Untersuchung, weitere Außerkraftsetzung der Habeas-Corpus-Akte etcetera.

Wie dem auch sei: Im Nachhinein fallen einem die Indizien quasi in den Schoß. Die Herangehensweise ist wie alles subjektiv gefärbt und entspricht demnach der Spannweite aller Möglichkeiten der Menschheit. Die Psychologisierenden werden schon immer anhand der Fotos des Autors (interessant übrigens, dass in dem Buch mit besagtem Text kein Autorenfoto war) etwas Dunkles in ihm erkannt haben wollen, einer, der nicht ganz geheuer, dem irgendwie alles zuzutrauen war. Schon seinen Texten entspringe etwas sehr Sentimentales bis Depressives, was man unter Umständen als Warnung hätte lesen können. Zur Beweisführung wird man Passagen aus den Veröffentlichungen des Autors zitieren, in denen Gewaltphantasien und das Herbeiwünschen von Zerstörung nicht extra hervorgehoben werden müssen. Interpreten, die sozusagen rationaler an den Fall herangehen, werden diesen unterschwelligen Hang zur tödlichen Subversion und die Gewaltbereitschaft des Autors zwar ebenso feststellen können, doch wird ihr Weg des Versuchs einer Erklärung über das Elternhaus und das soziale Umfeld sowie dem in Folge ausführlich durchforsteten privaten und öffentlichberuflichen Werdegang des Autors führen. Man wird auch in diesem Fall die suizidalen beziehungsweise allgemein-mörderischen Tendenzen in seinem Werk kenntlich machen und zur Beweisführung heranziehen.

Aber damit, wird der Autor denken, werde ich zum Glück nichts mehr zu tun haben müssen, und dann wird er weiter schreiben:

Folgendes habe ich bereits getan, so wird der Hauptteil des Textes anfangen:

Auf mehreren Reisen nach Bosnien und Serbien, genauer in ein Dorf in der Nähe von Zenica und in eine kleinere Stadt in der Nähe von Beograd, habe ich im letzten Jahr eine nicht zu geringe Anzahl an Waffen sowie Munition erworben und über die Grenze geschmuggelt. Dass es dazu gekommen war, beruht zu weiten Teilen auf Zufall: eine versoffene Nacht in einer Hotelbar, eine

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