Die andere Seite der Sonne: Erzählungen (German Edition) by Hardy Krüger

Die andere Seite der Sonne: Erzählungen (German Edition) by Hardy Krüger

Autor:Hardy Krüger [Krüger, Hardy]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Lübbe (Bastei Lübbe Taschenbuch)
veröffentlicht: 2015-05-08T16:00:00+00:00


ZWEI

Das Dach war lang und aus Palmblättern geflochten. Unter den runden Balken hingen Neonröhren, einfach nur so mit Draht an den Balken festgemacht, aber sie gaben gutes Licht. Das Dach war an drei Seiten offen. Weiter hinten an der schmalen Seite gab es eine Wand mit einem kleinen Raum für eine Küche und für eine Matratze flach am Boden. Die heiße Luft des Tages hatte sich unter dem Dach festgefangen und drückte jetzt nach unten auf die quadratischen Tische, die in großem Abstand zueinander auf dem Betonfußboden standen. Die Wachstuchdecken auf den Tischen waren feucht, blankgewischt, und Blüten in den wildesten Farben lagen, wie achtlos hingestreut, überall herum. Zwischen den Neonröhren hing ein Boot, das aus Stroh geflochten war. Das Meer lag ein ganzes Stück von hier entfernt, draußen in der Finsternis, weit hinter diesen schattenhaften Hütten des Dorfes, und es war die Frage, wie so ein Boot überhaupt da hängen konnte unter diesem Dach. Kann sein, ein Fischer hatte es in Zeiten, als die Maori ihre Boote noch aus Weiden flochten, vor einem herannahenden Zyklon hochgehievt und dann vergessen.

An einem Tisch unter dem Boot saß ein Mann mit grauen Augen. In sein Gesicht hatten sich tiefe Falten eingegraben. Auch wenn er sich noch in dem befand, was man »bestes Mannesalter« nennt, so gab es doch schon tiefe Falten, von einer erbarmungslosen Sonne in sein Gesicht gebrannt. Der Mann hatte nichts als ein T-Shirt über seinen Leib gezogen und ausgefranste Jeans, und die Füße waren nackt geblieben. Seine Hände waren kräftig, braun gebrannt, mit einem dichten Flaum blonder Haare und einer verschorften, rissigen Haut. Die Fingernägel waren kurz, mit einem Taschenmesser regelmäßig gestutzt und mit verkrustetem Öl an den Rändern, aber sein T-Shirt sah frisch gewaschen aus, nicht gebügelt, aber sauber. An seinem Handgelenk trug er eine schwarze Uhr, die eine ganze Reihe von Zifferblättern aufwies und Ringe mit mehrfarbigen Markierungen hatte, die alle verstellbar waren.

Der Fremde saß bereits lange an dem Tisch, schon seit die Sonne hatte untergehen wollen, und es schien ihm nichts auszumachen, dass er lange Zeit da sitzen musste, warten, bis ihm einer sagen würde, was es hier zu essen gab. Der Mann war auf einem roten Scooter gekommen, den er zusammenlegen konnte und der breite Reifen für Geländefahrten hatte. Links und rechts vom Hinterrad hingen lederne Satteltaschen von der Art, wie ein Kino-Cowboy sie über die Kruppe eines Pferdes hängt. Bevor die Sonne über die hohen Wipfel hinweg ihrem Untergang entgegen gewandert war, hatte er erfreut die Büsche mit den bunten Blüten angesehen, ringsumher bewegte sich in dem leichten Wind ein Meer von Blüten, und im halbdunklen Fenster eines Hauses, das hinter diesen Blüten stand, konnte er ab und an das Gesicht einer Frau ausmachen, die eine Haut in den Farben Braun und Gold zu haben schien. Später war er zu seinem Scooter raus geschlendert, um eine dickbauchige Flasche aus der Satteltasche zu holen. Jetzt saß er da an dem Tisch unter dem Boot und hatte die Ellbogen auf das Wachstuch gestützt. Ab und an »biss er mal einen Kleinen von dem Bourbon ab«, wie er es nannte.



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