Die andere Gesellschaft by Heinz Buschkowsky

Autor:Heinz Buschkowsky
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-09-09T16:00:00+00:00

Sind wir nun klüger?

Ich habe versucht, Ihnen die Welt von Menschen nahezubringen, die nicht Otto oder Helga heißen. Es waren ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, aber im Wesentlichen führten sie alle ein bürgerliches Leben. Auch aus der Sicht ihrer Herkunftsländer.

Rund ein Jahr bin ich eingetaucht in das Neukölln der Einwanderer. Ich habe mich in den Wohngebieten getummelt. Habe mich mit Menschen verabredet, bin zu ihnen gegangen, habe viel gelernt (das geht selbst bei einem Bürgermeister) und wurde auch enttäuscht. Nicht selten habe ich vergeblich warten oder zu fadenscheinigen Ausreden freundlich lächeln müssen. Fast alle kannten mich, auch wenn wir uns noch nie begegnet waren. Vielleicht war das mein Prä oder der Grund, warum mir einige Wunschpartner verschlossen blieben. Es mag sein, dass meine Gesprächspartner nicht immer ohne Ausschmückungen oder Beschönigungen gesprochen, sondern den einen oder anderen Filter eingebaut haben. Selbst wenn man dies unterstellt, glaube ich aber dennoch, dass meine Kontakte schon ein reales Bild aufgenommen und vermittelt haben.

Ich bin ziemlich sicher, dass die Schlüsse, Notwendigkeiten und politischen Einsichten, die ich daraus ziehe und ableite, nicht jeder und jedem gefallen. Das Spektrum der Beschimpfungen ist aber hinreichend bekannt und inzwischen auch schöpferisch abschließend kreiert. Ich denke dabei an die Vorhaltung »rassistisch«, derzeit der absolute Renner im Plattmachen ungeliebter Thesen. Dagegen kommt »ausländerfeindlich« schon recht altbacken um die Ecke. Selbst wenn es wie immer nichts nutzt, so will ich an dieser Stelle noch einmal Wert auf die Feststellung legen, dass mich das nur peripher berührt. Ich bin nur der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Daraus ergibt sich eigentlich bereits wie selbstverständlich die Erkenntnis, dass ich kein Wissenschaftler mit Möglichkeiten eigener Erhebungen, Untersuchungen und Umfragen sein kann und daher stets darauf zurückgreifen muss, was die Fachwelt öffentlich zugänglich macht oder worauf mich Menschen aufmerksam machen, was sie mir schreiben und erzählen. Als Prüfsteine wirken dann meine eigenen Erlebnisse und Erfahrungen und all die Dinge, die mir in der kleinen Neuköllner Welt begegnen. Das mag alles nicht immer repräsentativ und objektiv belastbar sein, aber ein Medikament gegen Blindheit ist es allemal.

Eine bissige Bemerkung vorweg kann ich mir allerdings nicht verkneifen. Ich beschäftige mich seit nunmehr 15 Jahren praxisgeerdet intensiv mit der Materie Einwanderung, Integration und behaupteter Assimilation. Dabei befasse ich mich gern mit den Segmenten, bei denen die publizierten Sonntagsreden mit der Wahrnehmung meiner Augen und Ohren im Alltag nicht übereinstimmen. Ich höre in den Jahren bisher eigentlich nur Erfolgsparolen: wie weit wir doch gekommen sind, dass es in diesem oder jenem Jahr wieder ein Stück besser wurde oder dass es zwar noch ein langer Weg ist, den wir aber zügig und erfolgreich beschreiten. Das geht bis hin zu der triumphalen Feststellung: »Integration ist in Deutschland eine einzigartige Erfolgsgeschichte.«

Ja, natürlich gibt es sie, die Erfolgreichen, die Angekommenen und ihre Geschichten. Sie haben im vorherigen Kapitel einige davon lesen können. Aber ich muss die Leser meines ersten Buches ein klein wenig mit der Wiederholung langweilen, dass man die Verkehrssituation einer Straßenkreuzung nicht daran erkennt, wie viele Fahrzeuge sie problemlos passieren konnten, sondern eher daran ablesen kann, wie hoch die Unfallhäufigkeit ist.

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