Die Wupper by Else Lasker-Schüler

Die Wupper by Else Lasker-Schüler

Autor:Else Lasker-Schüler [Lasker-Schüler, Else]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Gemeinfrei, Drama
ISBN: 3423106476
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 1985-12-31T23:00:00+00:00


Vierter Akt

Im Arbeiterviertel wie im ersten Aufzug. Schornsteine dampfen und pfeifen in der Ferne jenseits der Wupper. Die Wupper ist bewegt und dunkelrot gefärbt. Fabrikarbeiter und Arbeiterinnen sind auf dem Wege zur Fabrik. Jungen ziehen Milchkarren, und Kinder laufen in die Bäckereien, Frühstück auszutragen. Über die Brücke geht, dem Häuschen von Pius zu, Eduard.

Eduard; Carl; Lieschen; August Puderbach; Mutter Pius; Frau Amanda Pius; Großvatter Wallbrecker; Gretchen Stomms.

Eduard (erblickt Lieschen, das zur Bäckerei gehen will): Lieschen!

Lieschen (läuft entzückt zu ihm): Herr Eduard! Herr Eduard!

Eduard: Wohin gehst du denn so früh?

Lieschen ist noch immer zu freudig, um zu sprechen, es hält Eduards Hand fest und springt beständig in die Höhe.

Eduard: Freust du dich denn so, mein Kind?

Lieschen: Sicher!

Eduard: Sieh mal! (Er schwingt eine Rolle hoch in der Luft.) Komm, wir setzen uns hier auf die Bank.

Sie setzen sich vor Pius’ Haus auf die Bank. Eduard öffnet die Rolle.

Lieschen: Is aus England, nich?

Eduard nickt.

Lieschen (bewundernd): Wie ist das schön gemalen!

Eduard: Welche von den Puppenmüttern gefällt dir am besten, Lieschen?

Lieschen (freudig): De mittelste, die hat so große Augen, wie Sie habn.

Eduard (streichelt ihr Haar): Das Bild mußt du dir an die Wand hängen, mein Kind.

Lieschen: Über unser Bett kömmt es zu hängen, un der alte Herr Jesus fliegt auf ‘n Oller mit seine rotgeheulte Augen.

Eduard: Aber Lieschen – – –

Lieschen: Er guckt wie der Vater, wenn er von de sündige Welt predigt.

Eduard: Es kann auch nur ein frommer Maler unsern Heiland so schön malen, wie er gewesen ist.

Lieschen (etwas dreist): Meine Mutter sagt, Sie möchten uns en goldenen Rahmen bei das Bild kaufen.

Eduard: Hat das deine Mutter gesagt?

Lieschen (ihre Dreistigkeit fühlend, kleinlaut): Molz!

Eduard (spricht zärtlich, gütig): Aber daß du gestern nicht das kleine Christkind besucht hast, Lieschen, darüber bin ich sehr traurig.

Lieschen (erschrocken): Das dürfen Se nich sein; lieber bleib ich mein Leben lang in de Kirche auf de Stein liegen dreihundertundfünfundsechzig Tage (besinnt sich) und all die Stunden und die Minuten.

Eduard (gerührt): Unsere liebe Mutter hat dich auch besonders gern, Lieschen.

Lieschen: Ich bin doch ens so schäbig angezogen.

Sieht auf ihr Kleid herunter, Arbeiter grüßen Eduard ehrerbietig.

Eduard: Darauf sieht unsere liebe Mutter nicht; sie sagte mir, du habest ein himmelblaues Herzchen, Lieschen, und sie möchte so gern, daß es nicht fleckig würde.

Lieschen: En himmelblaues Herzken – – – habn Sie einmal so eins gesehn?

Kinder rufen Lieschen an.

Erstes Kind: Lieschen!

Zweites Kind: Lieschen!

Sie laufen wieder fort.

Eduard: Nur einmal bei einem kleinen Engelchen, das trug es ganz vorsichtig in einem seidenen Tüchelchen in den Händen.

Lieschen: Aber denn könnt es doch nich mehr klopfen?

Eduard: Gewiß, es pochte ganz, ganz leise, lauter Perlen.

Lieschen: Sicher?

Eduard: Und das Engelchen konnt es immer sehn, und so mußt du auch dein Herzchen wohl behüten, verstehst du mich, Lieschen?

Lieschen (verzückt und erstaunt): Ja – – –

Kinder: Lieschen, es ist half sieben; wir sagen es wieder!!

Lieschen rafft sich auf.

Lieschen: Ich muß nu laufen, Herr Eduard.

Gretchen Stomms kommt herbei, nähert sich etwas dreist den beiden und sagt Lieschen etwas ins Ohr.

Lieschen: Das is doch der nich.

Wird schüchtern, will fortlaufen mit Gretchen Stomms.

Eduard: Eine Hand darfst du mir doch noch geben.



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