Die Wiedergewinnung des Wirklichen by Matthew B. Crawford

Autor:Matthew B. Crawford [Crawford, Matthew B.]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2016-04-10T22:00:00+00:00

Glasbläserei: Gemeinsame Aufmerksamkeit im Einsatz

Einmal sah ich einer Gruppe von drei Glasbläsern bei der Arbeit zu. Peter Houk leitet das Glaslaboratorium am Massachusetts Institute of Technology und zählt zu den führenden Glasbläsern in den USA. Erik Demain ist Professor für Computerwissenschaft am MIT, und sein Vater Martin Demain ist sowohl ein Artist-in-Residence als auch Mitautor von rund 100 wissenschaftlichen Artikeln, die er zumeist gemeinsam mit seinem Sohn verfasst hat. Die drei Männer treffen sich mehrmals in der Woche, um gemeinsam Glas zu erzeugen. Diese Zusammenarbeit entsprang offenbar intellektueller Neugierde und verwandelte sich in etwas, das einem bestimmten Zweck diente und sie mehr und mehr in Anspruch nahm – so sehr, dass es mittlerweile ihre akademischen Karrieren zu vereinnahmen droht. Sie haben begonnen, die Kunst des Glasblasens um ihrer selbst willen zu perfektionieren. Dabei praktizieren sie mit beträchtlichen Selbstzweifeln eine uralte Kunst, die es schon im alten Ägypten gab.

Ich sah zu, wie sie ein Stück »Rohr« (wie eine Zuckerstange oder einen Barbierpfosten) von etwa fünf Metern Länge entwarfen und herstellten, wozu sie geschmolzene Glastropfen unterschiedlicher Farbe zusammenfügten. Da sie am MIT arbeiteten, entwarfen sie zunächst den Querschnitt des Rohrs am Computer. Dank ihrer Erfahrung konnten sie vorhersehen, wie sich ein Querschnitt durch Biegen und Strecken verändern würde. Und umgekehrt konnten sie sich ausgehend vom angestrebten Effekt zu einem Querschnitt zurückarbeiten, der durch Biegen und Strecken in diese Form gebracht würde. Sie entwickelten ein Computerprogramm, um den Prozess besser darstellen zu können und Neulingen dabei zu helfen, diese Dinge ebenfalls im Entwicklungsstadium zu sehen.

Das Erste, was in der Glasbläserwerkstatt ins Auge fällt, ist die Schönheit geschmolzenen Glases. Seine Farbe variiert abhängig von Temperatur und Chemie. In der scheinbar flüssigen Luft rund um einen Glasklumpen zittern Hitzewellen, die sich in Wirbeln auflösen.

Peter, Erik und Martin holen aus dem Ofen Glasklumpen verschiedener Größe und Form (die verschiedene Wärmekapazitäten und sehr unterschiedliche Temperaturgradienten aufweisen) und belassen diese Klumpen im flüssigen, geschmolzenen Zustand, indem sie sie immer wieder in einen anderen Ofen halten. Alles hängt von der Wahl des richtigen Zeitpunkts ab. Manchmal kühlen sie einen Teil der Oberfläche eines Klumpens ab, indem sie ein Ende kurz ins Wasser tauchen, oder sie erhitzen ihn oberflächlich mit einem Gasbrenner. In einer E-Mail schreibt Peter Houk: »Bei der Arbeit an einem komplexen Stück muss man genau darauf achten, wie sich der Plan entwickelt, und man muss als Team in der Lage sein, sehr rasch eine andere Richtung einzuschlagen. Die Kommunikation ist sehr wichtig. Manchmal muss man sogar so schnell reagieren, dass keine Zeit für mündliche Kommunikation ist.«

Das Glas sieht aus, als müsste es rasch bearbeitet werden, aber nichts an den Bewegungen dieses Teams deutet auf Panik hin. Tatsächlich fällt die Ruhe auf, mit der sie sich harmonisch durch die Werkstatt bewegen. Houk glaubt, dass diese Art von Zusammenarbeit »zu den wichtigsten Dingen gehört, die wir unseren Studenten am MIT beibringen können«. Die Studenten wollen den Prozess oft auf eine Reihe von Formeln für Wärmeübertragung, Viskosität und dergleichen reduzieren. Aber die Verwandlung geschmolzenen Glases – sein Tropfen, seine Formung und Verfestigung – muss man am Ende eines Stabes spüren.

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