Die Welt der Kelten by Arnulf Krause
Autor:Arnulf Krause
Format: epub
Herausgeber: Campus Verlag
Irland – Die grüne Insel am Rand der Keltenwelt
Als Agricola, der römische Statthalter Britanniens, in der Zeit um 80 nach Chr. Feldzüge nach Wales und Schottland unternahm, sah er am Horizont des westlichen Meeres eine ferne Küste – Irland. Diese Hibernia genannte Insel war für die Römer keine Terra incognita, denn sie hatten im Laufe der Zeit einiges über sie erfahren. Nach dem Bericht des Tacitus erstreckte sie sich zwischen Britannien und Hispanien (Spanien) in einer Ausdehnung, die geringer als die der britischen Hauptinsel war. Allerdings sei sie größer als die Eilande des Mittelmeeres und läge verkehrsgünstig für den Seehandel. Folglich seien auch ihre Häfen und Zufahrten den römischen Kaufleuten gut bekannt. In der Natur des Landes und der Art ihrer Bewohner sei sie Britannien sehr ähnlich. Auch hier herrschten zahlreiche Häuptlinge, die sich gegenseitig bekriegten und um Macht und Einfluss kämpften. Ein von Rivalen vertriebener Stammesfürst suchte sogar den Statthalter Roms auf und versuchte ihn möglicherweise zu einer militärischen Intervention zu überreden. Agricola erhielt auf diesem Weg viele Informationen über Irland, von dem er angeblich glaubte, es mit einer Legion und einigen Hilfstruppen erobern zu können. Doch dazu kam es nicht, weil der Römer aus Britannien abberufen wurde und die Kaiser in Rom genug mit der anderweitigen Sicherung ihres Riesenreiches zu tun hatten.
So blieb Irland sich selbst überlassen und wurde niemals Teil des Imperium |138|Romanum. Völlig isoliert war die Insel am Rande Europas trotzdem nicht. Zwischen Iren, Britanniern und Römern bestanden etliche Kontakte sowohl kriegerischer als auch friedlicher Natur. Vor allem durch den Handel übernahmen die Iren vielerlei Einflüsse; nach dem Vorbild des lateinischen Alphabets entwickelten sie zum Beispiel eine eigene Schrift, das Ogam. Aber im Großen und Ganzen lebte man länger als ein Jahrtausend, ohne sich fremder Invasoren erwehren zu müssen.
Die in der einheimischen Sprache Ériu genannte Insel konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken, als sie wahrscheinlich im Laufe des 4. Jahrhunderts vor Chr. keltisiert wurde. Wie in Britannien ist auch hier ungewiss, auf welche Weise die Iren zu Kelten wurden – durch Einwanderung oder durch Übernahme der keltischen Kultur und Sprache. Jedenfalls blieben sie von fremden Eroberern bis ins frühe Mittelalter verschont, als die skandinavischen Wikinger ihre Küsten angriffen.
Dies hatte Konsequenzen, die Irland heute zum keltischen Land schlechthin machen. Denn während die Gallier und die anderen Stämme des Kontinents |139|romanisiert wurden und auch die Zahl der freien Kelten in Britannien zusammenschrumpfte, bewahrten sich die Iren ihre Selbstständigkeit. Fernab der welthistorischen Ereignisse wie Caesars Gallienkrieg lebten sie in den Traditionen der La Tène-Zeit, denen sie ein eigenes Gepräge gaben. Seit dem frühen Mittelalter schrieben christliche Mönche und Gelehrte die Überlieferung nieder – Mythen, Sagen, Legenden und Geschichtswerke. Sie sind die einzigen schriftlichen Quellen der frühen irischen Geschichte. Da sie Historisches mit Fantastischem vermischten, entstand jene zauberhafte Darstellung keltischer Geschichten, die heute die irische Mythen- und Sagenwelt so populär macht.
Die geschichtlichen Fakten sind dagegen karg: Die irische Gesellschaft war in bis zu 150 kleine Stammesreiche zersplittert, zu denen selten mehr als 3 000 Menschen zählten. An der Spitze der Zwergstaaten standen Könige, die sich zumeist heftig befehdeten.
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