Die Unschuldigen by Juergen Seidel

Die Unschuldigen by Juergen Seidel

Autor:Juergen Seidel [Seidel, Juergen]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3570401375
Google: AEm29kcLAqUC
Amazon: 3570401375
Goodreads: 13611089
Herausgeber: cbj
veröffentlicht: 2012-04-01T22:00:00+00:00


»John«

Sergeant Cleveland kam am Nachmittag ins Haus. Major McMillan war längst in die Stadt zurückgefahren – nachdem er in Manfred diesen sonderbaren Eindruck hinterlassen hatte. Kannte sie den Major über den Besuch hinaus? Diese Frage und auch Clevelands merkwürdige Verlegenheit, mit der er die Mutter grüßte, beunruhigten Manfred. Am Ende wusste Cleveland Bescheid! Über etwas, das Manfred nicht zu denken wagte. Er verbot sich, es zu denken. Bestimmt war alles nur eingebildet, die Folge von Belastung, Überspanntheit, Nervenreizen. Manfred folgte Grete bis in die Küche, wo sie Rübensuppe kochte, während Cleveland bereits im Wohnzimmer bei der Mutter saß und redete.

»Ich hab Angst, dass ich nicht angemessen traurig bin«, erklärte Manfred mit gedämpfter Stimme.

Er hatte früh am Morgen, als die Militärpolizei nach Spuren suchte und die Mutter endlich schlief, kolorierte Bildchen in ein Sammelalbum geklebt, das Tante Lama ihm vor Jahren überlassen hatte. Die Pflanzenwelt der deutschen Alpen. Und er hatte es mit dem Gefühl getan, dass es sich nicht gehörte.

»Du glaubst also«, fragte Grete leise, »dass es eine bestimmte Menge Trauer gibt, die man zu empfinden hat?«

Manfred hörte Cleveland nebenan reden, wie sehr er »Franz« (»friends«) gemocht habe und wie unverzichtbar er gewesen sei.

»Du denkst«, fuhr Grete fort, »dass dein Papa von oben herunterguckt und unzufrieden mit dir ist.«

Er lächelte gequält.

»Und lachen darf man sowieso nie mehr«, fügte sie hinzu. Sie nahm seine Hand, zog ihn zu sich und schlang die Arme um ihn. Sie wollte ihn trösten und das war sehr schön. Er war einfach durcheinander.

»Du bist ein Kindskopf«, sagte Grete, stellte sich auf die Fußspitzen und küsste seine Stirn. »Geh jetzt nach nebenan. Ich muss Geld verdienen. Bitte! Und hör auf zu grübeln, wie traurig man sein muss oder nicht.«

Sie schob ihn von sich weg. Er machte einen schmalen Mund und nickte. Als Kind hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, wenn der Vater oder die Mutter sterben würden. Es war, als hätte er versucht, sich auszudenken, wie es wäre, wenn die Welt nicht länger existierte. Man konnte es nicht denken.

Als er ins Wohnzimmer kam, sagte die Mutter gerade etwas über Grete. Auch Cleveland lobte sie. Er wisse bereits, dass sie ein wenig Englisch beherrsche. »She is quite with me when I say something.«

Manfred war verblüfft. Schon wieder. Und zweifach sozusagen: Dass sie über Grete sprachen und dass seine Mutter jedes Wort verstand, das der Sergeant zu ihr sagte. Er konnte sich die Frage einfach nicht verkneifen: »Mama, warum habe ich heute Morgen eigentlich den Dolmetscher spielen müssen?«

Sie warf ihm einen langen Blick zu und spielte mit den Händen. »Weil du im Englischen besser bist als ich«, sagte sie schließlich.

Manfred konnte im Gesicht der Mutter sehen, wie sehr sie sich kontrollierte, wie sehr sie sich ihren Schmerz nicht ansehen lassen wollte. Ihre Augen waren vom Weinen rot, der Mund zitterte manchmal, und wenn er sich nicht täuschte, waren ihre Wangen eingefallen, als wäre sie in der kurzen Zeit seit dem Unglück schneller gealtert. Es zu sehen, tat ihm weh, und zugleich bewunderte er sie für diese Selbstbeherrschung, für diese Kraft.



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