Die Unermesslichkeit by David Vann

Die Unermesslichkeit by David Vann

Autor:David Vann
Die sprache: deu
Format: azw3, epub
ISBN: 9783518777602
Herausgeber: Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
veröffentlicht: 2012-04-01T22:00:00+00:00


Gary versuchte, beim Spazierengehen den Kopf durchzulüften. Er fühlte sich angeklagt. Seit Jahren schon, und was hatte er sich eigentlich zuschulden kommen lassen? Kein Verbrechen, dessen er sich bewusst gewesen wäre. Nur das Verbrechen des Miteinanders, das Verbrechen, da zu sein. Seine Ehe etwas Schweres und Bedrängendes.

Er lief nicht gern durch eine Stadt, nicht mal eine Stadt wie Anchorage, die zumeist einstöckig war und weitflächig und eigentlich gar keine Stadt. Schmutzig und leer, endlose Einkaufszeilen. Auto- und Truckhändler, Industriebedarf, fensterlose Nachtclubs, Fast Food und Waffengeschäfte. Ein sonniger Nachmittag an einem toten Ort.

Irene ging ihn an, schon eine ganze Weile. Er wusste nicht, wieso. Aber sie ließ nicht locker. Die ständigen Klagen. Er sei schwach, würde abhauen, sei nie für sie da, ein permanenter Versager, eine ständige Enttäuschung. Sie fand die Hütte idiotisch, fand sein Leben idiotisch. Und worauf zielte sie ab? Darauf, sie beide unglücklich zu machen?

Gary zog die Jacke aus, vom schnellen Gehen wurde ihm warm. Hoffentlich konnte der Arzt die Kopfschmerzen beheben. Das wäre eine Verbesserung. Der tägliche Wahnsinn würde erheblich gemindert.

Er versuchte, nicht über sie nachzudenken, versuchte, einfach nur zu laufen. Schlammbespritzte Pickups und Wohnmobile rollten vorbei, ballten sich vor roten Ampeln. Er mochte seine Wege zu Hause, den Pfad zu Marks Haus, den Pfad über den ersten Kamm, längere Wege den Berg hinauf. Auf der Insel noch mehr zu erkunden, viel mehr zu erkunden. Aber erst mal musste er eine Hütte fertigstellen. Ihm lief die Zeit davon.

Gary blieb stehen, machte die Augen zu und versuchte, sie vor sich zu sehen, versuchte, in seiner Hütte zu stehen, die Blockwände, der alte Eisenofen in der Ecke, Nickelfüße. Ein grober Tisch, fellbezogene Sitzbänke, ein Bett am Ende des Zimmers, darüber sein größtes Bärenfell. Holzwölfe zu beiden Seiten der Tür, das eine Fenster bleiverglast. Ein Schaukelstuhl mit Blick durch dieses Fenster, vielleicht eine Pfeife. Vielleicht würde er sich das Pfeiferauchen angewöhnen.

Gary seufzte, machte die Augen auf, ging weiter. Noch eine Menge Arbeit, bis er über diesen Schaukelstuhl nachdenken konnte. Und sehr wenig Hilfe. Jeder Schritt des Projekts würde ein Kampf werden. So war es.

Nach nicht allzu langer Zeit fand sich Gary wieder vor dem Motelzimmer, öffnete und schloss leise die Tür.

Ich schlafe nicht.

Das tut mir leid, Irene. Ich wünschte, du könntest schlafen.

Ich auch.

Er legte sich neben sie, den Arm über sie.

Danke, sagte sie, froh, ihn wiederzuhaben. Leichter, die Zeit zu überstehen, wenn sie ihm dabei zuhören konnte, wie er einschlief.

Irene behielt die Uhr im Auge, während Gary und Rhoda ruhten, und schließlich war es vier. Sie stiegen in den Truck und fuhren zum Termin um halb fünf.

Romano steckte CT-Bilder an einen weißen Leuchtschirm. Irene konnte ihr Gehirn sehen, zusätzlich zu den Knochen auch das ganze weiche Gewebe. Ganz anders als ein Röntgenbild, alles sichtbar.

Diese dunklen Stellen hier, zeigte Romano, das ist Ihre Keilbeinhöhle.

Irene sah, dass sie unter ihrem Gehirn steckte, weit hinter ihrer Nase. Eine Stelle, die der umgebende Knochen vor den Röntgenstrahlen verbirgt.

Dunkel bedeutet, sie sind leer, sagte Romano.

Was?

Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht. Und Ihre Stirnhöhlen sind frei.



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