Die Ukraine-Krise ist eine Krise Europas by Jerzy Maćków

Autor:Jerzy Maćków
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Edition fotoTAPETA
veröffentlicht: 2016-08-15T00:00:00+00:00

Eurasische Union

Dem belarussischen Präsidenten müssen die bei seinem ersten Putin-Besuch im August 2002 von seinem Gastgeber ausgesprochenen Worte immer noch in den Ohren klingen. Da das Bruttoinlandsprodukt von Belarus bloß drei Prozent des russländischen BIP betrage, sagte Putin während einer gemeinsamen Pressekonferenz sinngemäß, solle sich der kleinere Bruder in der belarussisch-russländischen Union nicht zum gleichberechtigten Partner aufspielen, sondern doch gleich der Russländischen Föderation beitreten. Wenn sich beide Länder anstrengen würden, wäre der Beitritt bis 2004 vollbracht.

Die Angst vor einer Bruderschaft in einer zwar von ihm selbst restaurierten, aber von Russland zum gemeinsamen Zielhafen umgebauten russkij mir ist groß. Diese Angst hält Lukaschenka davon ab, trotz des starken Drucks aus Moskau zu den drei Ländern aufzuschließen, nämlich Nicaragua, Venezuela und Nauru, die als die einzigen in der Welt die staatliche Unabhängigkeit von Abchasien und Südossetien anerkennen. Russland hatte diese georgischen Provinzen im Georgien-Krieg August 2008 in die „russische Welt“ überführt. Ähnliche Angst muss übrigens auch der vom kommunistischen Parteichef zum islamischen Staatsoberhaupt und „Führer der Nation“ mutierte Nursultan Nasarbajew haben, den der russische Staatspräsident bei seinem Staatsbesuch in Kasachstan im September 2014 öffentlich dafür lobte, auf einem riesigen Territorium, auf dem niemals zuvor ein Staat existiert hatte, einen solchen kreiert zu haben …

Russland, Belarus und Kasachstan bilden den Kern der im Jahre 2000 gegründeten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU, bis 2015 „Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft“ – EAWG), zu der neben den anderen potenziellen Anwärtern (Armenien, Kirgistan, Moldova und Usbekistan) die Ukraine als das nach Russland zweitwichtigste Land hinzukommen sollte (seit 2002 hatte sie einen Beobachterstatus). Aus Russland hört man immer wieder den Vorwurf, der in Deutschland erstaunlicherweise oft für bare Münze genommen wird, dass das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine die Integrationsinteressen der Eurasischen Wirtschaftsunion und Russlands missachte. Dieser Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage. Denn die Europäische Union war in Wirklichkeit immer bereit, mit Russland über die wirtschaftlichen Modalitäten ihrer Assoziierung der Ukraine zu sprechen. Von dieser Bereitschaft zeugt alleine die Tatsache, dass das mittlerweile in zwei Schritten (im März und Juni 2014) unterzeichnete Assoziierungsabkommen wirtschaftlich erst Anfang 2016 in Kraft treten sollte. Dank der Verschiebung wurde Zeit für die pragmatische Klärung aller Probleme gewonnen. Würde es sich bei der EAWU nicht um eine russländisch geführte Internationale einander misstrauender Autokraten zur Abwehr des Systemwechsels handeln, könnte man in sachlichen Verhandlungen schnell einen alle Seiten befriedigenden Kompromiss finden.

Das innerhalb der Eurasischen Union vorherrschende Misstrauen scheint größer zu sein als jenes, das die Unionsstaaten gegenüber jenen westlichen Akteuren hegen, die in der Kreml-Propaganda als die Feinde schlechthin dargestellt werden. Dieses Misstrauen wird durch das Lavieren Lukaschenkas in der Ukraine-Krise eindrucksvoll illustriert. Er hatte sich zunächst loyal für die Annexion der Krim durch Russland ausgesprochen, und zwar mit dem schlichten „Argument“, die Ukrainer hätten doch die Halbinsel militärisch nicht verteidigt. Sobald er merkte, dass der Kreml nicht nur die Krim im Sinn hat, begann er Putin ausgerechnet wegen dessen Krim-Politik zu kritisieren. Aus Angst vor Russland will sich Lukaschenka die internationale Anerkennung seines Staates sichern. Im September 2014 und Februar 2015 trafen sich Vertreter Russlands, der Ukraine,

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