Die Tochter des Apothekers by Marie Louise Fischer
Autor:Marie Louise Fischer [Fischer, Marie Louise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2017-04-20T00:00:00+00:00
'Sie haben sich von mir getrennt!' brach es voller Bitterkeit aus ihm heraus. 'Das hätte nicht sein müssen. Doch anscheinend war ich ihnen nur als Wunderkind etwas wert. Als Virtuose. Nicht als Mensch. Nicht einmal als Künstler.'
* * *
Man kann nicht ewig mit seinen Eltern zusammen bleiben, hätte sie fast gesagt, aber dann wurde ihr klar, daß sie die Letzte war, die sich eine solche Bemerkung erlauben durfte. Sie war ja immer noch bei ihrem Vater, und es bestand kaum Aussicht, daß sich das ändern würde.
'Früher oder später', fuhr er fort, ruhiger jetzt, beherrschter, 'wäre es wohl ohnehin so gekommen. Wenn ich geheiratet hätte vielleicht. Aber sie haben mich fallen lassen, als ich sie noch brauchte. Sie hätten mir helfen können, mein neues Leben aufzubauen.' Er atmete tief durch. 'Aber Schwamm drüber. Ich habe es auch ohne sie geschafft. Ich denke oft, alles kommt so, wie es kommen soll.'
'Und was machen sie jetzt?' wiederholte Lisa ihre immer noch unbeantwortete Frage.
'Sie sind nach Hamburg gezogen und lehren dort am Kramerschen Musikinstitut, wahrscheinlich in der Hoffnung, auf ein anderes Wunderkind zu stoßen.' Er lachte kurz auf. 'Aber das dürfte nicht so einfach sein. Wunder geschehen selten.'
Eine Weile gingen sie schweigend weiter.
Er faßte sie beim Arm, als wieder einmal ein paar Fahrradfahrer kamen, ausgelassen, in Badehosen und mit nacktem Oberkörper. Sie empfand seine Berührung als angenehm. Doch er ließ sie sofort wieder los, als die Gefahr vorbei war.
'Sagen Sie mir eins, Uldo', bat sie endlich, 'wie ist das? Haben Sie sich selber auch als Wunderkind gefühlt?' – Prüfend sah sie ihn von der Seite an; seine vollen Lippen waren zusammengepreßt.
Dann öffnete er den Mund und bekannte, mit einem Lachen seine Verlegenheit tarnend: 'Ich fühle mich immer noch so.'
'Ich dachte, das wäre nur etwas, das einem die Leute einreden.'
'Nein, Lisa, man spürt seine Begabung. Das ist schon ein Wunder. Und wenn man sich umsieht, merkt man, daß die anderen diese Gabe nicht haben. Man ist eine Ausnahme. Ein Wunderkind eben.'
'Daß Sie Ihre Begabung als Wunder empfinden, will ich gern glauben. Aber ein Kind sind Sie jedenfalls nicht mehr.'
'Doch, Lisa. Im Herzen bin ich ein Kind geblieben. Ich bin nicht stolz darauf und will es auch gar nicht so gerne wahrhaben. Wenn Sie mich näher kennen, Lisa, werden Sie merken, daß ich oft sehr naiv bin.'
Innerlich stimmte sie ihm zu, und sie wunderte sich, daß es ihr nicht von selber aufgefallen war. Er lebte wie ein großer Junge, der keine Eltern mehr hat. Ohne eine Verantwortung auf sich zu nehmen, außer für seine Musik. Vielleicht noch für sich selber. Aber das war es dann auch schon. 'Sie sind beneidenswert, Uldo.'
'Ja, so fühle ich mich auch', gab er zu ihrer Überraschung zu, 'beneidenswert.'
'Und wieso brauchen Sie dann Präparate zur Aufmunterung? Gegen Kopfschmerzen?' fragte sie in dem Wunsch, seine Selbstgefälligkeit wenigstens anzukratzen.
Er reagierte nicht gekränkt, sondern lachte frei heraus. 'Ah, da spricht die Apothekerin! Ich will versuchen, es Ihnen zu erklären, Lisa. Ich fühle mich nicht nur beneidenswert; sondern bin es auch, ganz objektiv gesehen. Geben Sie mir darin nicht recht?'
Lisa nickte.
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