Die Straßen von London Roman by Maeve Binchy

Die Straßen von London  Roman by Maeve Binchy

Autor:Maeve Binchy [Binchy, Maeve]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426417508
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-05-24T16:00:00+00:00


Central Line

Shepherd’s Bush

May fand, daß die Menschen in London sehr müde wirkten und ärmlicher, als sie sie in Erinnerung hatte. Ein wenig ähnelten sie den Menschenmengen, wie sie während und kurz nach dem Krieg in der Wochenschau zu sehen gewesen waren, in ihren abgetragenen Regenmänteln, tapfer lächelnd und endlos geduldig. Aber schließlich war hier nicht die Regent Street, die sie bei früheren Londonbesuchen entlangflaniert war, um sich die Auslagen anzusehen. Und auch nicht das West End mit seinen funkelnden Lichtern, wo ausgelassene Nachtschwärmer umhüllt von Parfümwolken aus Taxis stiegen. Das hier war Shepherd’s Bush, eine Wohngegend. Wahrscheinlich waren diese Menschen schon frühmorgens aufgestanden und hatten sich auf dem Weg zur Arbeit durch ähnliche Menschenmengen gekämpft. Die Frauen hatten vermutlich in der Mittagspause ihre Einkäufe erledigt, denn die meisten von ihnen trugen Plastiktüten voller Lebensmittel. Diese Seite Londons bekam man als Tourist normalerweise nicht zu Gesicht.

Aber May war auch keine normale Touristin, sondern aus einem anderen Grund hier, obwohl sie einmal in einem zynischen Zeitschriftenartikel gelesen hatte, daß die Mädchen, die wegen einer Abtreibung nach London kamen, nicht unwesentlich zu den Einkünften der Stadt aus dem Fremdenverkehr beitrugen. Trotzdem konnte man ihre Reise unmöglich als Ferienreise bezeichnen. Als sie am Flughafen ein Formular ausfüllen mußte, hatte sie als Reisezweck »geschäftlich« angegeben.

Der Pub, in dem sie Celia treffen wollte, lag in der Nähe der U-Bahn-Station. Sie fand ihn ohne Probleme und suchte sich einen Sitzplatz. Viele der Gäste sprachen mit irischem Akzent, Arbeiter, die noch kurz ein Bier tranken, bevor sie nach Hause zu ihren englischen Ehefrauen und ihrem Fernsehapparat gingen. Es war erst Montagabend, deshalb waren sie noch nicht betrunken, aber ohne Zweifel handelte es sich um Stammgäste. Vielleicht keine sehr willkommenen Stammgäste am Freitag- oder Samstagabend, wenn ihnen wieder einfiel, daß sie Iren waren, und sie begannen, Hetzlieder auf die Engländer zu singen.

Celia sah das ganz anders, durch eine rosarote Brille gewissermaßen. Ihrer Meinung nach waren die Iren in London aus freien Stücken hier, und nicht, weil es zu Hause keine Arbeit für sie gab. Sie haßte das Klischee von dem rastlosen Iren, den es in die Ferne zog, oder von dem Iren, der sich als Gelegenheitsarbeiter auf dem Bau verdingte. Celia fand, man sollte nicht so ein Getöse darum machen, schließlich ließen sich Menschen aus aller Herren Länder in London nieder, die Stadt sei ja groß genug, um alle aufzunehmen. Nun gut, May würde es nicht zur Sprache bringen, es gab genügend andere Themen, bei denen man sich mit Celia in die Haare geriet …, da brauchte man es nicht auch noch darauf anzulegen.

Ach, warum nur mußte es ausgerechnet Celia sein? Warum kannte sie niemanden sonst, den sie um Rat bitten konnte? Oh, und wie ihr Celia Ratschläge geben würde, mit jedem Stück Information, das sie Celia entlocken konnte, würde ihr diese eine Lektion erteilen, bei jeder Tasse Tee würde sie ihr eine Strafpredigt halten. Sie war ohne Zweifel besonnen, praktisch und genau die Richtige in dieser Lage – wenn sie nicht in anderer Hinsicht so völlig ungeeignet gewesen wäre.



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