Die Senfblütensaga - Zeit für Träume by Clara Langenbach

Die Senfblütensaga - Zeit für Träume by Clara Langenbach

Autor:Clara Langenbach [Langenbach, Clara]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104913063
Herausgeber: FISCHER E-Books


Metz, 1909

EMMA

Die Tage wurden wärmer, doch Emma kamen sie noch trister vor als im nasskalten Februar. Jedes Mal, wenn die Post kam, hoffte sie auf eine Nachricht von Carl. Auf ein paar liebe Worte. Auf ein Lebenszeichen. Aber die Wochen vergingen, ohne dass sie etwas von ihm gehört hätte. Vielleicht hat er dich vergessen, nagte ein fieses Stimmchen an ihr, wenn sie nachts allein in ihrem Bett lag. Vielleicht braucht er dich nicht mehr? Sie wollte sich nicht davon verunsichern lassen, fest entschlossen, so lange zu warten, wie es nötig war. Dennoch fühlte sie sich schrecklich einsam.

»Ach, deine Schwermut ist kaum noch zu ertragen«, klagte ihre Mutter und ließ sie Strümpfe stopfen oder Röcke flicken. Emma erledigte die Aufgaben ohne Einwände, und nicht einmal an den heimlichen Ausflügen zu Perrins Buchhandlung konnte sie sich wirklich erfreuen. Als sie fast eine halbe Stunde lang über einer Seite ihres Geographielehrbuches ausgeharrt hatte, ohne wirklich etwas im Kopf zu behalten, schob sie es frustriert von sich.

»Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist!«

Eine Kundin, die gerade in den Liebesromanen stöberte, sah sie überrascht an. Auch Gusti wandte ihr die Schnauze zu. Einen Rat konnte die Buchhandlungskatze natürlich nicht geben, aber dieser verständnisvolle Blick war wie Balsam für ihre Seele. Hinter den Regalen trat Monsieur Perrin vor, der neuangekommene Bücher sortierte.

»Manschmal ist eine Pause durschaus angebracht«, meinte er und stellte ein paar Antiquariatsschätze aus dem achtzehnten Jahrhundert in einer Vitrine am Eingang aus. Normalerweise war Emma die Erste, die die Bücher bewundern durfte, doch heute hatte sie nicht einmal darauf Lust.

Sie wartete, dass sich die Kundin endlich zwischen einem Liebesroman mit einem Pinkerton-Agenten und einer Piratenromanze entschieden hatte. Doch die Dame tat sich unglaublich schwer damit, weswegen Émile Perrin sie ausführlich beraten musste und sie erst nach einer halben Stunde so weit war, den Seeräuber mit nach Hause zu nehmen.

»Eine Pause kann ich mir nicht leisten«, nahm Emma den Faden auf, als das Glöckchen die Kundin endlich verabschiedet hatte. »Ich darf nicht mit dem Lernen aufhören. Ich will es durchziehen, unbedingt!«

Émile Perrin setzte sich zu ihr an den Tisch und tätschelte väterlich ihre Hand. »Er kommt schon zurück. Bis da’in musst du auf andere Gedanken kommen.«

Sie wollte protestieren, doch der Buchhändler sah sie so wissend an, dass sie es nicht übers Herz brachte, es zu leugnen. Carls Nähe hatte sie beflügelt, und seine Träume waren ein Stück zu ihren eigenen geworden. Er war es, der in ihr mehr als »nur noch Emma« gesehen hatte. Mehr, als sie selbst in sich sah. Jeder Augenblick mit ihm erschien ihr unglaublich kostbar. Dass sie sich fragte, warum sie nicht schon früher all diese Augenblicke so geschätzt hatte, wie sie es verdienten.

Er fehlte ihr entsetzlich.

»Es ist so töricht.«

Sie war so töricht.

Mit beiden Händen stützte Emma ihren Kopf ab und starrte gen Buchdeckel. Geographie. Jetzt wusste sie immerhin, wo genau Dijon lag und wie lange sie brauchen würde, um hinzukommen. Als könnte sie sich tatsächlich einfach so in einen Zug setzen, um zu ihm zu fahren.

»Aber nein. Ganz und gar verständlisch«, tröstete der Buchhändler.



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