Die Seltsamen (German Edition) by Bachmann Stefan

Die Seltsamen (German Edition) by Bachmann Stefan

Autor:Bachmann, Stefan [Bachmann, Stefan]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783257604245
Herausgeber: Diogenes Verlag AG
veröffentlicht: 2014-02-25T23:00:00+00:00


ZWÖLFTES KAPITEL

Das Haus und der Zorn

Mr. Jelliby gehörte nicht zu den Menschen, die übereilte Entscheidungen trafen. Genau genommen gehörte er überhaupt nicht zu den Menschen, die Entscheidungen trafen. Aber als sich das mechanische Auge des Feenbutlers fauchend auf den Vogel in Mr. Jellibys Hand richtete und die Kreatur ihn hungrig anlächelte und »Was für ein Zufall, Sie hier zu sehen…« sagte, als wären sie die ältesten Freunde, traf er eine ausgesprochen übereilte, ausgesprochen tollkühne Entscheidung. Er nahm die Beine in die Hand.

Er stopfte sich den Vogel in die Hosentasche und stürzte aus dem Geschäft und den schmalen Flur entlang zur Treppe. Hinter ihm wurden Stimmen laut. Die Glöckchen über der Ladentür klirrten wie wild. Mr. Jelliby sprang die Treppe hinunter, wobei er vier Stufen auf einmal nahm und nur mit knapper Not dem gebrechlichen alten Mann ausweichen konnte, der ihm entgegenkam.

Als er in die wabernde Luft der Ofenrohrstraße hinausstürzte, blieb er wie angewurzelt stehen.

O nein. Eine riesige schwarze Kutsche stand so reglos wie ein Sarg am Ende der Straße und versperrte ihm den Fluchtweg. Zwei mechanische Pferde waren davorgespannt und scharrten über das Pflaster. Funken flogen von ihren Metallhufen auf.

Mr. Jelliby rannte in die andere Richtung, sauste, den Ärmel vor dem Mund, um nicht an den Ausdünstungen zu ersticken, von einer Abzweigung zur nächsten, mitten durch ein Gewirr winziger Gassen. Sobald es ihm möglich war, suchte er sich einen Weg zurück zur Hauptverkehrsstraße. Er erreichte sie, als die Glocken gerade sieben Uhr schlugen und das Ende des Werktages einläuteten. Arbeiter aus den Gießereien und Brauereien strömten durch die Tore und verstopften die Straße. Mr. Jelliby kämpfte sich durch die Menge und hastete die Treppe zur Hochbahn hinauf.

Als er auf den Bahnsteig gelangte, fuhr gerade mit einem schrillen Pfeifen eine Dampflokomotive aus. Er schwang sich auf das schmiedeeiserne Trittbrett des hintersten Waggons und sank außer Atem über dem Geländer in sich zusammen. Schweiß rann ihm in die Augen, doch er blinzelte ihn fort. Auf den Straßen unter ihm drängten sich Reihen um Reihen müder, dreckiger Menschen, die nach Hause stapften oder in eine Schankwirtschaft, den Blick auf den Schlamm unter ihren Stiefeln geheftet. Nirgendwo glitt eine Fee leichenblass und zypressenschlank zwischen ihnen hindurch.

Der letzte Waggon rumpelte gerade um eine Kurve, als Mr. Jelliby die schwarze Kutsche entdeckte, die wie ein schimmerndes Boot in schmutzigem Wasser die Menge teilte. An einer Kreuzung blieb sie stehen. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung und verschwand stadteinwärts.

Mr. Jelliby atmete lange und tief durch. Das tat er wieder und wieder, doch nichts konnte die panische Angst lösen, die sich in seiner Lunge festgesetzt hatte. Der Feenbutler hatte ihn gesehen. Er hatte Mr. Lickerishs Vogel in seiner Hand gesehen, zweifelsohne ebenjenen Vogel, nach dem er sich hatte erkundigen wollen. Falls sie vorher vermutet hatten, dass er ein Spion sei, dann waren sie sich dessen jetzt sicher. Und ein Dieb war er in ihren Augen nun auch. In diesem Moment wurde Mr. Jelliby etwas bewusst, das ihm heftige Übelkeit verursachte: Er hatte bereits beschlossen, dass er Melusine



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