Die Seidenstraße by Bruno Baumann
Autor:Bruno Baumann
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Terra Magica
veröffentlicht: 2013-11-03T16:00:00+00:00
In Ribat-i Malik begegnen sich alte und neue Seidenstraße. Unmittelbar neben den Relikten einer Karawanserei, von der nur noch ein Portal und ein überkuppelter Wasserspeicher übrig geblieben ist, gibt es eine Raststätte für die modernen Karawaniers mit ihren tonnenschweren Trucks.
Während auf der einen Seite noch Spuren der Vergangenheit der Seidenstraße zu sehen sind, hat auf der anderen die Zukunft bereits begonnen. Unmittelbar neben dem antiken Wasserspeicher hat ein geschäftstüchtiger Usbeke einen Parkplatz angelegt und eine Imbissbude aufgestellt. Da versammeln sich nun die modernen Reisenden der »Neuen Seidenstraße«, die Fernfahrer aus der Türkei, dem Iran oder Russland, mit ihren Sattelschleppern und befördern – wie früher – Waren aller Art von Europa nach Asien und umgekehrt.
Dann taucht sie auf, Scheherazades Stadt, deren Name schon pure Verheißung ist: »Goldene Stadt«, »Spiegel der Welt«, »Garten der Seele«, »Rom Asiens«, »schönstes Antlitz, das die Erde der Sonne je zugewandt hat« sind nur einige huldvolle Umschreibungen, mit denen man Samarkand im Lauf der Geschichte bedacht hat. Die gegenwärtige Wirklichkeit kann da freilich nicht mehr mithalten. Der erste Eindruck ist, gelinde gesagt, ernüchternd. Keine Spur von der märchenhaften Schönheit, wenn man die Peripherie erreicht und an einförmigen Wohnsilos und Fabrikschloten vorbeifährt. Die alten Stadtmauern sind genauso verschwunden wie die krummen Gassen der Altstadt. Stattdessen wurden schnurgerade mehrspurige Boulevards gebaut. Nein, der erste Anblick lässt sich nicht mit den träumerischen Bildern im Kopf in Einklang bringen.
Erst auf den zweiten Blick erahnt man etwas vom Glanz, der den legendären Ruf begründete. Zwischen den Betonbauten ragen granatförmige Kuppeln wie aufgeblasene Ballons hervor, blau und türkisfarben. Da und dort erhebt sich eine monumentale Fassade, flankiert von schlanken, sich nach oben verjüngenden Minaretten. Aus einem Markttor strömen bunt gekleidete Frauen mit prall gefüllten Körben voller Obst und Gemüse. Am Straßenrand sitzen Männer mit viereckigen, schwarz-weiß bestickten Kopfbedeckungen. Sie trinken Tee unter einem aufgespannten Zeltdach. Daneben brät jemand Lammspieße auf einem qualmenden Metallgestell.
Vom Hotelzimmer blicke ich auf Gur-e Amir, die Grabstätte Timurs, mit ihrer geriffelten Kuppel. Schon früh am Morgen sieht man die ersten Busse vorfahren. Die Besucher kommen aus allen Teilen der Republik, in Gesellschaftsklassen eingeteilt. Ganze Schulklassen sind darunter, hochdekorierte alte Kader mit Orden auf der Brust, einfache Baumwollarbeiter, die einen Betriebsausflug machen. Samarkand zieht auch Scharen von Religiösen an. In ihren dunklen Mänteln, schwarzen Schaftstiefeln und weißen Käppis pilgern sie zu den Moscheen, Medresen und Mausoleen. Timurs palastähnliches Grabmal gehört zum Pflichtprogramm.
Noch vor wenigen Jahren galt er als Unperson, und die bloße Erwähnung seines Namens war verboten, heute ist er Teil des von Präsident Karimov verordneten Selbstfindungsprogramms. Den blutrünstigen Eroberer zum Vater der usbekischen Nation zu stilisieren ist ein ziemlich verwegenes Unterfangen. Timur-Leng, der Lahme, oder Tamerlan war gar kein Usbeke, sondern ein Turkmongole und selbst ernannter Abkömmling von Chinghis Khan. Zu der Zeit, als Timur sein Weltreich gründete und Samarkand zum Zentrum ausbaute, gab es die Usbeken hier noch gar nicht. Timur, den sie nun als Gründerkaiser verehren, lag schon hundert Jahre in seinem Sarkophag, als die Usbeken 1501 dieses Gebiet an sich rissen. Doch die Geschichtsbücher sind längst umgeschrieben, und um Timur wuchert ein üppiger Personenkult.
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