Die Raupe und der Buddha by Marcus Hillerich

Die Raupe und der Buddha by Marcus Hillerich

Autor:Marcus Hillerich [Hillerich, Marcus]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Hamburg
veröffentlicht: 2013-07-14T22:00:00+00:00


Plötzlich erhebt sich eine mächtige Burg auf einem Felsen über einer kleinen Stadt im Nyang-chu-Tal. Gyantse war ein weiterer Austragungsort des „Großen Spiels“ in Zentralasien. Als die Russen 1884 Merv im heutigen Turkmenistan einnahmen, sandte dies Schockwellen über das Himalaya-Gebirge in das von den Briten kontrollierte Indien.3 In London hatte man Angst, eine Pufferzone an die Russen zu verlieren. Mit der Stadt Merv in russischer Hand war plötzlich ein Einmarsch über Afghanistan auf das Dach der Welt und nach Britisch-Indien realistisch geworden. England musste reagieren und versuchte die Chinesen auf seine Seite zu ziehen. Sechs Jahre später entsandte die Regierung in London Francis Younghusband zu den Chinesen, um eine gemeinsame Vorgehensweise auszuloten. Auf dem Weg zurück durch das Pamir-Gebirge lief Younghusband den russischen Truppen auf ihrem Vormarsch in die Arme und durfte sich entscheiden: entweder Gefangenschaft oder vollständiger Rückzug. Er entschied sich für Letzteres. In London musste die Regierung mit Herzrasen zusehen, wie fast ganz Zentralasien den Russen in die Hände fiel. Lord Curzon, der Vizekönig von Britisch-Indien, beauftragte erneut den Abenteurer Younghusband, 1903 eine Expedition nach Lhasa anzuführen, um weiteren russischen Expansionsgelüsten endlich ein Ende zu bereiten. In Gyantse scheiterte eine Kontaktaufnahme mit den Tibetern mehrmals, sodass Younghusband die Festung einnahm und dann nach Lhasa marschierte, um festzustellen, dass der Dalai Lama in die Mongolei geflohen war. Insgesamt war die Expedition aber nur ein Teilerfolg. Tibet blieb ein integrativer Teil Chinas, der russische Vormarsch aber wurde gestoppt.

Gyantse ist heute ein verschlafenes Örtchen mit vielen alten Gebäuden und einem der wohl bedeutsamsten buddhistischen Bauwerke Tibets. Der pyramidenartige Gyantse Kumbum ist ein dreidimensionales Mandala mit siebenundsiebzig Kapellen und „hunderttausend heiligen Bildern“, so die tibetische Übersetzung. Die Wandbilder und Statuen sind in den einzelnen Kapellen auf sechs Stockwerke verteilt und präsentieren den buddhistischen Kosmos. Pilger umrunden das fünfunddreißig Meter hohe Gebäude im Uhrzeigersinn. So wird dem Gläubigen die Teilnahme an der buddhistischen Wahrnehmung des Universums ermöglicht. Über die Jahrhunderte hielten Karawanenführer hier mit ihren Tieren an und pilgerten zur „Stupa der hunderttausend Bilder“, bevor sie sich auf ihren beschwerlichen Weg über die „Teeroute“ zur Stadt Yalong an der Grenze zu Sikkim aufmachten, um von dort nach Indien zu reisen.

Als ich den Kumbum betrete, mustert mich ein Mönch von einem Fenster am Eingang aus, das von vielen Topfpflanzen eingerahmt ist. Ich möchte mir für die Besichtigung Zeit nehmen. Zeit, die devote Pilger offenbar nicht haben. Sie schubsen mich zur Seite, berühren mit ihrem Kopf die Holzabsperrungen vor den Statuen und werfen als Opfergabe Geldscheine in die jeweiligen Kapellen. Es scheint, als seien viele in Eile. Auf den schmalen Holztreppen im Inneren des Bauwerks staut sich die Menge und Ellenbogen schieben die Schwächeren aus dem Weg. Plötzlich kommt eine deutsche Studienreisegruppe die Treppe herauf. „Sind wir in dieser Kapelle nicht schon gewesen?“, fragt Gast Nr. 1 konsterniert. Der Reiseleiter sehr diplomatisch: „Auch wenn es Ihnen so vorkommt, nein, dieses Statuenensemble haben wir noch nicht besichtigt!“ „Mensch, was ist das heiß hier drin.“ stöhnt Gast Nr. 2. Die Spezies „Fotoreporter“ hat mit zwei dicken Kameras



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