Die Radiofamilie by Bachmann Ingeborg
Autor:Bachmann, Ingeborg
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2010-12-31T16:00:00+00:00
ENDE
Folge 32
Die Florianis gehen ins Theater
Personen:
Hans
Vilma
Helli
Wolferl
Marie
Mitterbacher, der Vater von Gisela, der Freundin Hellis
Sprecher
(Musik)
SPRECHER: Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich wünsche Ihnen allseits einen guten, angenehmen Abend. Was wir heute abend tun werden? Nun, schauen wir einmal in der Zeitung nach, was heute alles in Wien los ist. (nimmt eine Zeitung zur Hand und blättert darin) Erste Seite – brrr: Außenpolitik. Zweite Seite – brrr: Innenpolitik. Dritte Seite – (höhnend) Lokales. Vierte Seite: ts, ts, ts, Gerichtssaal. Fünfte Seite: Kunst und Kultur. Na, das ist aber was für uns. Was spielt man denn eigentlich heute im Kino? Obersteiger, Im weißen Rößl, Obersteiger, Im weißen Rößl, Obersteiger, Hannerl, Im weißen Rößl, Hannerl, noch einmal Hannerl … na, da ist keine große Auswahl. Schauen wir woanders nach: Burgtheater, da komm ich im Abonnement erst nächste Woche dran. Oper, da war mein Abonnement schon dran, Akademietheater, da gibt’s kein Abonnement, Volkstheater, bin ich sowieso im Sonderabonnement, Josefstadt, da hab ich keins, was spielt man denn dort? Ein idealer Gatte von Oscar Wilde. Ja, ja … waaas?! Ein idealer Gatte? Um Himmels willen, da gehen ja die Florianis heute hin … wenn ich sie nur noch erreich (ausblenden) wenn sie nur noch zu Haus sind, heut haben wir doch Radiofamilie …
VILMA: Aber dieser Mann weiß doch, daß wir heute ins Theater gehen; die ganze Woche wird davon geredet, und bitte, er kommt einfach nicht nach Haus und findet es nicht einmal der Mühe wert, anzurufen …
HELLI: (kauend) »Dieser Mann …«? Meinst du vielleicht gar den Papa, liebe Frau Mutter?
VILMA: Mach mich nicht nervös, ja? Und sprich nicht, wenn du den Mund voll hast. Was ißt du jetzt überhaupt? In einer halben Stunde kriegst du ohnehin eine Kleinigkeit. Mit vollem Magen geht man nicht ins Theater.
HELLI: (kauend) Kenn ich schon! Dann ist’s wieder zu spät dazu, und wir gehen als a Hungriger aus dem Haus, und übrigens kann man ruhig mit vollem Magen ins Theater gehen.
VILMA: Nein, wenn man ins Theater geht, ißt man nachher, das ist so Sitte.
HELLI: Aber vorher auch. Wenigstens in Familien, wo es Sitte ist, daß man die Schinkensemmeln im Buffet zu teuer findet.
VILMA: Helli: noch ein Wort und …
(Tür auf)
MARIE: Bitt schön, gnä’ Frau, die Strümpf … sind schon trocken. Und Maschn is keine grennt. (tröstlich) Das habn S’ Ihnen nur einbildt.
VILMA: Dank Ihnen schön, Marie. Mein Glück, das war das letzte Paar.
(Tür zu)
HELLI: Du Mama, das können doch unmöglich deine letzten Strümpf sein.
VILMA: Wieso? Natürlich nicht … Was interessiert dich denn das?
HELLI: Ja, weißt, ich fänd das halt sehr interessant, wenn du sagen tätst, du borgst mir die Strümpf, die dir die Marie jetzt gebracht hat.
VILMA: Dafür interessierst du dich vergeblich.
HELLI: Mamilein, bitte, sei nicht so hart. Die meinigen sind doch alle schon gestopft oder repassiert, und wenn ich einmal in die Josefstadt geh, einmal nach so langer Zeit …
(Tür auf und zu)
WOLFERL: Mama, du wirst wahnsinnig werden … man sieht jetzt scharf.
HELLI: Mama, sei gut zu deiner Helli und borg ihr nur ein einziges, winziges Mal deine Strumpfilein
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