Die Quelle by James A. Michener

Die Quelle by James A. Michener

Autor:James A. Michener [Michener, James A.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2011-08-17T12:59:50+00:00


»Keinen.«

Nun kam Menachem von sich aus auf das Thema zurück, das er vor zwölf Jahren die Alten unter dem Weinstock in Twerija hatte besprechen hören und über das er sich seither immer wieder Gedanken gemacht hatte. Behutsam fragte er: »Aber wenn ich heute abend Waren im Wert von zehn Drachmen stehle…« Sofort fiel Rabbi Ascher ihm ins Wort: »So würden wir dich festnehmen, als Sklaven verkaufen, mit einer anderen Sklavin verheiraten und nach fünf Jahren freilassen.«

»Und wäre ich dann rein?«

»Du nicht. Aber deine Kinder.« Der Alte hielt inne. Er, der sich nun seinen letzten Lebensjahren näherte, war sich seiner Pflichten als Gottesmann mehr und mehr bewußt geworden.

Etwas von dem, was er an Freude und Liebe bei den Gesprächen in Twerija gespürt hatte, soweit sie nicht rechtlichen Erörterungen gegolten hatten, überflutete sein Herz, und mit aller Herzlichkeit sagte er: »Menachem, mein Sohn bist du, und der Hüter meiner Mühle. Ich bitte dich, stiehl etwas im Wert von zehn Drachmen, bitte, und gewinne dir so deine Stellung innerhalb des Gesetzes zurück.« Er stand auf von seinen Pergamenten, lief mit kurzen Schritten zu dem jungen Mann, umarmte und küßte ihn und rief: »Endlich wirst du wieder ein Jude, der weiß, wie er zur Gemeinde steht.«

So unterwarf Menachem sich schließlich doch dem Gesetz.

Er ging vom Haus des Rabbi zur Synagoge, um seinen Vater zu bitten, er möge die Gelegenheit zu einem Diebstahl und eine Festnahme vor Zeugen vereinbaren, damit man ihn, seinen Sohn, als Sklaven verkaufe. Doch auf dem Wege begegnete er einer den Hügel herauf in die Stadt ziehenden Karawane von Eseln. Baumeister, Maurer und Sklaven kamen mit ihr, angeführt von dem Presbyter Eusebios, einem hochgewachsenen, schlanken Spanier in schwarzem Gewand, der in Konstantinopel seiner Kirche gedient hatte und nun nach Makor kam, um die Basilika zu Ehren der heiligen Maria Magdalena zu bauen. Unter einem silbernen Kruzifix zog dieser ernste Mann, eine imponierende Persönlichkeit, ergraut die Schläfen, zerfurcht das Gesicht, in der erhabenen Geistigkeit des mit seinem Gott Vertrauten in Makor ein. Der erste Mensch, dem er begegnete, war der sichtlich bestürzte Menachem; einen Augenblick lang sahen die beiden einander starr in die Augen. Dann löste sich die strenge Miene des Spaniers überraschend zu einem warmen Lächeln, die Falten in seinen Wangen vertieften sich, und seine vorher so düsteren Augen glühten freundschaftverheißend auf. Er verneigte sich leicht gegen Menachem. Der aber fühlte sich sofort zu diesem Mann der Kirche hingezogen, der gekommen war, das Bild der Stadt zu verändern – und mehr als das Bild.



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