Die Maerlande Chroniken by Elisabeth Vonarburg

Die Maerlande Chroniken by Elisabeth Vonarburg

Autor:Elisabeth Vonarburg [Vonarburg, Elisabeth]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-20T16:00:00+00:00


KAPITEL 7

Lisbeï sah sich nach Fraine um, aber die junge Rote war noch nicht angekommen. Der einzige aus ihrer Gruppe, der sich bereits im Vortragssaal aufhielt, war Dougall. Da er vor allen anderen dagewesen war, hatte er sich natürlich nach hinten gesetzt. Lisbeï ging bewußt zu ihm hinüber und tippte ihm auf die Schulter. »Friede, Dougall.« Er fuhr zusammen und wurde, wie üblich, ein bißchen rot. Er nahm seine Sachen und folgte ihr zu den Plätzen in der ersten Reihe.

Noch war keine der Rednerinnen an dem halbrunden, zum Publikum gerichteten Tisch aufgetaucht. Lisbeï hatte seit ihrer Ankunft in Wardenberg auf einen Besuch von Kelys gehofft, aber alles, was sie erhalten hatte, war das unter ihrer Tür durchgeschobene Einladungsschreiben zum Vortrag gewesen.

Quer darüber stand in Kelys’ großer, klarer Handschrift ›ja?‹ Seit ihrer Kindheit hatte sich Lisbeï an Kelys’ sporadisches Kommen und Gehen gewöhnt und beschlossen, sich nicht weiter darüber aufzuregen.

Allmählich füllte sich der Saal. War es Kelys7 Ruf, der die Leute anzog, oder lag es an dem, was die Rednerinnen als Gruppe zu bieten hatten? Vielleicht kamen die Menschen auch deswegen, weil in Wardenberg zum ersten Mal eine Podiumsdiskussion veranstaltet wurde, bei der es um das Notizbuch, besser gesagt: um Haldes Testament ging. Wahrscheinlich waren es all diese Gründe zusammen, die für Publikum sorgten, dazu kam noch die Neugier auf die Vereinigung, die Kelys gegründet hatte. Alle Redner innen des Abends gehörten ihr an. Aber was für eine Mischung das war! Eine Forschungsvereinigung, in der sich Judditen, Gläubige und Fortschrittlerinnen zu einem solchen Thema zusammenfanden, war ein mindestens ebenso aufsehenerregendes Spiel mit Risiken wie eine ENTSCHEIDUNG!

Vertraute Stimmen. Fraine, Ysande und Livine. Dougall rutschte weiter, Ysande ließ sich seufzend nieder. Bei Fraine, die ebenfalls schwanger war, sah man nur eine kleine Ausbuchtung, als sie sich neben Livine in die Reihe hinter Lisbeï setzte. Sie zog ihren Stuhl näher heran, so daß sie Lisbeï ins Ohr flüstern konnte. Als Lisbeï sich umdrehte, um sie zu begrüßen, sah sie, daß der Saal ein Farbenmeer war. Wie erwartet, dominierte Blau, aber auch Rote waren gut vertreten, außerdem auch ein paar andere, für Wardenberg typische Farben. Es waren verhältnismäßig viele Männer, vor allem Rote, anwesend, aber das war ganz normal. Selbst in Wardenberg hatten Männer oft stark ausgeprägte religiöse Überzeugungen. Auch für sie waren die ENTSCHEIDUNG und das Thema dieser Versammlung von Bedeutung.

Die Rednerinnen kamen hintereinander herein. Kelys, groß und grazil wie eh und je, mit leichtem Grau im kurzen Haar, ging ganz am Schluß. Wenn Kelys in Wardenberg zu Versammlungen erschien, verschlug es dem Publikum vor Verwunderung stets für einen Augenblick die Sprache. Natürlich hatten die Wardenberger von Kelys gehört, aber ihre dunkle Haut fiel hier, wo sich die Erblinien erst seit kurzer Zeit vermischten, immer noch auf.

Das Raunen im Publikum verstummte. Carmela von Vaduze, die älteste der Rednerinnen, trat nach vorn, um den rituellen Segen zu sprechen: »Wir wollen uns in Elli sammeln. Möge Elli uns in ihrem Frieden leiten.«

»Friede sei allen in Elli«, murmelte das Publikum nach dem vorgeschriebenen kurzen Augenblick der Stille. Lisbeï lehnte sich zurück, nach außen hin völlig gelassen.



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