Die Litanei von den Gottesgaben by Laxness Halldór

Die Litanei von den Gottesgaben by Laxness Halldór

Autor:Laxness, Halldór [Halldór, Laxness]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-07-09T16:00:00+00:00


16. Ein starker Mann in Djupvik

Es war merkwürdig, daß einem der Geruch überreifer Südfrüchte entgegenschlug, wenn man die Tür des Hotels öffnete. Nicht nur in der Rezeption des Hotels, sondern in allen drei Räumen, die in einer Flucht zusammenhingen, dem Salon hinter der Rezeption und dem Speisesaal hinter dem Salon, war niemand. Schließlich gelang es mir, mich bemerkbar zu machen, und ein Dienstmädchen wies mir ein Zimmer an, ohne mich einzutragen.

Als erstes mußte ich natürlich im Ort den Vertreter der Partei, der die Zeitung gehörte, sprechen und Aufschluß über meine künftige Arbeit gewinnen. Mir war bekannt, daß dieser Mann Vorsitzender der örtlichen Gewerkschaft war, die als revolutionär galt und in dieser Hinsicht bisweilen als Vorbild für andere Gewerkschaften genannt wurde. Der Vorsitzende war in der Arbeiterbewegung ein starker Mann und hatte viele Eisen im Feuer, wie mir kürzlich der Bolschewik am Kleifarvatn im Süden erklärt hatte (Direktor von Djupsild, der staatlichen Heringsölfabrik und der kommunalen Heringsfabrik, Bezirkstagsabgeordneter, Althingsabgeordneter des Wahlbezirks usw. usf.). Diesen Mann konnte man im inneren Büro der Heringsölfabrik antreffen. Thorarna Thjodgeirsdottir führte mich zu ihm. Er war ein breitschultriger Mann mit einem viereckigen Schädel; ursprünglich war er Hochseefischer, dann hatte ihn die Partei nach Wien und Moskau zum Studium des Sozialismus geschickt. Er war ein so großer Realist, daß er bei handgreiflichen Auseinandersetzungen immer die Oberhand behielt und auf den Füßen landete, wenn man ihn zum Fenster hinauswarf. Er war ziemlich wortkarg, sein Blick war kalt; gegenüber Fremden war er, wenigstens zunächst, zurückhaltend. Seit langem hatte er aufgehört, über die Theorie zu sprechen, außer vielleicht mit Grünschnäbeln; wenigstens tat er es nicht mit mir. Mitunter war ich versucht zu fragen: Kannst du deinen Jargon nicht mehr, Mann! Unvermittelt konnte er eine einfache Bemerkung machen, die so voll von gesunder Vernunft und beißendem Humor war, daß man sich fragen mußte, ob er als guter und aufrechter Marxist nicht Berge an dogmatischem Wissen für diese Einfälle hatte hergeben müssen. Nach einer solchen Bemerkung huschte ein spitzbübisches Siegeslächeln über sein Gesicht. Wenn jemand gegen ihn eine wörtlich einem Buch entliehene Argumentation verwendete oder sogar etwas zitierte, das er selber in seinen Idealistenjahren erdacht und in die Zeitungen gesetzt hatte, dann konnte es sein, daß er laut und lange lachte; danach verhielt er sich neutral.

»Ich überbringe Grüße vom Vorsitzenden der Partei in Reykjavik; er schickt mich her, damit ich eure Zeitung diesen Sommer übernehme. Ich habe vor kurzem euren früheren Redakteur kennengelernt und einige Artikel von ihm gelesen, und ich muß aufrichtig sagen, für einen solchen Mann bekommt ihr mit mir nur einen kümmerlichen Ersatz.«

»Ja, er schrieb manchmal hübsch. Aber die Zeitung ging nicht.«

»Das ist mir unbegreiflich, wo er doch vieles richtig sah.«

»Ja, er konnte gut schreiben und sah vieles richtig. Er hatte nur einen Fehler. Er war komplett verrückt. Er meinte, der Erlöser hätte den Juden einen Diwan gestohlen und ihn den Römern mit Gewinn verkauft.« (Lächeln.)

Der neue Redakteur wies auf einen Artikel im Nordexpreß hin, in dem über Unsauberkeit in der Behandlung des Matjesherings für Amerika berichtet wurde.

Vorsitzender: »Wir verstehen uns nicht darauf, Hering für den Verzehr zuzubereiten.



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