Die Liebe in Den Zeiten Der Cholera by Gabriel García Márquez

Die Liebe in Den Zeiten Der Cholera by Gabriel García Márquez

Autor:Gabriel García Márquez [Márquez, Gabriel García]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783596162513
Herausgeber: FISCHER
veröffentlicht: 1985-06-30T22:00:00+00:00


V.

Die Feiern anläßlich der Jahrhundertwende wurden von einem Programm neuartiger Veranstaltungen begleitet, darunter als denkwürdigste die erste Ballonfahrt, die ebenfalls eine Frucht des unerschöpflichen Unternehmungsgeists von Doktor Juvenal Urbino war. Die halbe Stadt kam an der Plaza del Arsenal zusammen, um den Start des riesigen Ballons aus Seidentaft in den Nationalfarben zu bestaunen, der die erste Luftpost nach San Juan de la Ciénaga dreißig Meilen Luftlinie weit beförderte. Doktor Juvenal Urbino und seine Frau, die auf der Weltausstellung in Paris das Wunder des Fliegens kennengelernt hatten, stiegen als erste in den Korb, nach ihnen der Flugingenieur und sechs Ehrengäste. Sie hatten einen Brief des Provinzgouverneurs an die Stadtbehörde von San Juan de la Ciénaga bei sich, in dem für die Nachwelt festgehalten wurde, daß dies die erste Post war, die durch die Lüfte befördert wurde. Ein Reporter des Diario del Comercio fragte Doktor Juvenal Urbino, was denn seine letzten Worte seien, falls er bei dem Abenteuer umkommen sollte, und dieser dachte nicht lange über die Antwort nach, die ihm viele Anfeindungen eintragen sollte: »Meiner Meinung nach«, sagte er, »geht das neunzehnte Jahrhundert für die ganze Welt zu Ende, nur nicht für uns.«

In der staunenden Menschenmenge verloren, die, während der Ballon an Höhe gewann, die Nationalhymne sang, mußte Florentino Ariza einem Mann innerlich Recht geben, dessen Kommentar er im Tumult hörte: Das sei kein Abenteuer für eine Frau und schon gar nicht für eine in Fermina Dazas Alter. Letztendlich war es dann doch nicht so gefährlich. Oder nicht so gefährlich wie deprimierend. Der Ballon trieb langsam durch einen Himmel von einem unglaublichen Blau und erreichte ohne Zwischenfälle seinen Bestimmungsort. Sie flogen ruhig mit einem sanften und günstigen Wind in geringer Höhe über die Ausläufer der verschneiten Höhenzüge und dann über das weite Meer der Ciénaga Grande.

Wie Gott selbst sahen sie vom Himmel aus die Ruinen des alten und heroischen Cartagena de las Indias, der schönsten Stadt der Welt, von ihren Einwohnern wegen der Cholera in Panik verlassen, nachdem sie drei Jahrhunderte lang Piratenüberfällen und jeder Art von Belagerung durch die Engländer standgehalten hatte. Sie sahen die unversehrten Stadtmauern, die zugewucherten Straßen, die von den Bougainvilleen verschlungenen Festungen, die Marmorpaläste mit den Goldaltären und den Vizekönigen, die pestkrank in ihren Rüstungen verfault waren.

Sie flogen über die Pfahlbauten von den Trojas de Cataca, die in irrwitzigen Farben angestrichen waren, über die Zuchtställe für eßbare Leguane und die Seegärten mit den herabhängenden Balsaminen und Astromelien. Hunderte nackter Kinder warfen sich, vom allgemeinen Geschrei aufgescheucht, ins Wasser, sprangen von den Dächern oder den Kanus, die sie mit erstaunlichem Geschick manövrierten, und tauchten wie die Maifische, um die Wohltätigkeitspakete mit Kleidung, Hustensaftflaschen und Nahrungsmitteln zu ergattern, die ihnen die schöne Dame mit dem Federhut aus dem Korb des Ballons zuwarf.

Sie flogen über den schattigen Ozean der Bananenplantagen, deren Stille wie ein tödlicher Dunst zu ihnen aufstieg, und Fermina Daza erinnerte sich daran, wie sie mit drei oder vier Jahren einmal durch so einen finsteren Wald spaziert war, an der Hand ihrer Mutter, die selbst fast noch



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