Die Letzten ihrer Art: Roman (German Edition) by Lunde Maja

Die Letzten ihrer Art: Roman (German Edition) by Lunde Maja

Autor:Lunde, Maja [Lunde, Maja]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: btb Verlag
veröffentlicht: 2019-10-20T16:00:00+00:00


KARIN

I ch bleibe wach im Bett liegen, die Bettwäsche juckt auf der Haut, das Kissen ist zu weich, die Matratze zu hart, und das Zimmer stinkt nach Rauch.

Schließlich stehe ich auf. Öffne das Fenster zur Nacht. Der Lärm der Stadt schlägt mir wie eine Wand entgegen, Motoren, Bremsen, Transformatoren, Lüftungen, Sirenen. Und Stimmen, Gelächter, Schreie.

Ich bleibe am offenen Fenster stehen und ziehe die Stadtluft in meine Lunge ein. Tief ein und wieder aus. Ein, aus.

Es hilft nichts.

Stadtluft, Stadtnacht, so wie die letzte Nacht, das allerletzte Mal, dass ich mich auf die Suche machte.

Ein heller Frühlingsabend vor bald drei Jahren. Ganz Westberlin war auf den Beinen. Frauen in Sommerkleidern, Kinder auf Fahrrädern. Doch an diesem Leben nahm ich nicht teil, denn im Schatten des Frühlings gab es auch eine andere Stadt. Die Stadt der Obdachlosen, die Stadt der Drogenabhängigen. Seine Stadt. Unsere Stadt. Meine und seine.

Am Vormittag war er zu mir nach Hause gekommen. Er hatte keinen Schlüssel mehr, hatte ihn zum Glück verschlampt, und ich wollte ihm auch keinen neuen nachmachen lassen. Er klaute wie ein Rabe. Ich war es leid, immer wieder zu entdecken, dass Dinge, die mir etwas bedeuteten, verschwunden waren.

Ich arbeitete gerade, als er klingelte. Beschäftigte mich mit dem Stammbaum der Takhis. Ich wusste, welche Pferde ich zur Zucht einsetzen, welche Erbeigenschaften ich kreuzen wollte. Aber ich konnte sie nicht holen, konnte nicht damit anfangen, ehe ich einen passenden Ort gefunden hatte. Eigentlich suchte ich nach etwas in der Nähe von Berlin, in der Nähe von Mathias. Dann aber hatte ich den Tipp von dem Hof in Thorenc bekommen. Das Gebiet ähnelte der Mongolei. Es wäre optimal für die Pferde. Ich könnte ihn billig übernehmen. Und die Idee ließ mich nicht mehr los, obwohl der Hof viel zu weit von Mathias entfernt lag.

Die Haustürklingel durchschnitt die Stille. Seine Stimme in der Sprechanlage klang klar, seine Worte deutlich.

Ich schloss auf, hörte seine Schritte im Treppenhaus. Ich spitzte die Ohren, um zu hören, ob er stolperte oder das Bein nachzog. Doch die Geräusche seiner Füße auf der Treppe verrieten nichts.

Dann stand er vor mir. Ich erkannte seinen Geruch wieder, ein Geruch von Straße, Zigaretten, Alkohol, Putz und Urin. Schmutzig, immer war er schmutzig, seine Fingernägel, sein Haar. Jetzt kommt wieder die Umarmung, dachte ich, jetzt streckt er seine Arme aus, so wie immer, und hält mich lange fest. Bis ich mich vorsichtig befreie.

Doch er bewegte sich nicht.

»Hallo«, sagte er nur.

»Komm rein«, sagte ich. »Hast du Hunger?«

Er hatte immer Hunger.

Ich stellte Brot und Aufschnitt für ihn auf den Tisch. Viel hatte ich nicht anzubieten, wenn man allein ist, kommt man mit wenig aus. Aber ich fand noch ein Fertiggericht in der Gefriertruhe, das für ihn gedacht war. Ich hatte oft so etwas zu Hause, damit er immer etwas essen konnte, selbst wenn er mitten in der Nacht kam.

An jenem Tag aß er aber nur eine Scheibe Brot und wollte keine warme Mahlzeit haben.

Anschließend stand er auf, räumte seinen Teller und das Glas auf die Arbeitsplatte, fegte die Krümel in die Spüle.



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