Die Legenden der Vaeter by Kolja Mensing

Die Legenden der Vaeter by Kolja Mensing

Autor:Kolja Mensing [Mensing, Kolja]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3351027346
Herausgeber: Aufbau Verlag
veröffentlicht: 2010-12-31T23:00:00+00:00


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ürstenau ist eine kleine Stadt. Von Anfang an wird über die Tochter des Tischlers geredet, die sich auf einsamen Feldwegen mit einem polnischen Soldaten trifft und dabei ist, wenn in den besetzten Häusern wilde Feste gefeiert werden. Spätestens als Józef anfängt, bei Mariannes Eltern ein- und auszugehen, spricht sich herum, dass sie schwanger ist. Niemand ist überrascht, als man die beiden im Herbst 1946 mit einem Kinderwagen sieht, Józef in Uniform, Marianne stolz in einem neuen, dunkelblauen Kostüm, für das Józef eine Kiste Brandy gegen Kleiderpunkte getauscht hat.

Aus dem frechen Mädchen, das Kaffee und Zigaretten bei den Besatzungssoldaten schnorrt, ist eine junge Frau geworden, die weiß, dass auf sie und ihren Verlobten ein anderes, besseres Leben wartet, weit weg von Fürstenau und von ihren Eltern. Sie schieben den Wagen, in dem Anna vor dem Krieg die kleine Eleonore ausgefahren hat, über die Schotterstraße vor Mariannes Elternhaus und machen Pläne für die Zeit nach Józefs Entlassung aus der Armee.

Ein paar Wochen zuvor hatte General Anders, der Mann, der sich mit seiner Armee von Nordafrika über Monte Cassino bis in den Norden Italiens vorgekämpft hatte, eine Rede gehalten, in der er den polnischen Soldaten wegen der unsicheren politischen Lage in ihrer Heimat von der Rückkehr abriet. Seine Worte, die eine schwere diplomatische Krise zwischen London und der kommunistischen Regierung in Warschau auslösten, waren bis in das polnische Besatzungsgebiet in Deutschland vorgedrungen, zusammen mit verheerenden Nachrichten aus Polen. Der Sicherheitsdienst hatte die Heimkehrer tagelang verhört, ein Teil von ihnen soll direkt im Gefängnis gelandet sein oder auf einem sowjetischen Gefangenentransport in Richtung Sibirien. Der Kalte Krieg hat begonnen, und eine neue Front zieht sich quer durch Europa. In den Augen der kommunistischen Regierung in Polen sind die Soldaten der Exilarmee keine Helden, die gegen Hitler und die Wehrmacht gekämpft haben, sondern Verräter, die gemeinsame Sache mit den Westmächten machen.

Józef und Marianne drehen eine große Runde, vom Haus über die Schotterstraße den Bahndamm entlang bis in den Pottebruch, wo noch die mit Wellblech gedeckten Baracken des Reichsarbeitsdienstes stehen. Ihre Hoffnung ist Großbritannien. Die britische Regierung hat ein Einbürgerungsprogramm für diejenigen polnischen Soldaten aufgelegt, die nach ihrer Entlassung aus der Armee nicht in ihr Heimatland zurückkehren wollen.

Das ist ihre Chance. Józef wird nach England gehen, allerdings nicht, um in Manchester oder Leeds als Bergarbeiter zu schuften. Er wird Marianne nachholen, und sie werden sich auf einem Überseedampfer einschiffen, um am anderen Ende der Welt mit Józefs Ersparnissen neu anzufangen, weit weg von Europa, diesem verwüsteten Kontinent, wo alle nur darauf warten, dass ein neuer Krieg ausbricht. Józef hat in Brüssel gehört, dass Chile und Brasilien Einwanderer aufnehmen wollen, und in der Tasche seiner Fliegerbluse steckt ein Ausschnitt aus einer Soldatenzeitung, mit einem Foto von der Highland Monarch, einem Truppentransporter der britischen Marine, der im April mit einhundertzweiundneunzig Polen an Bord von Liverpool aus in Richtung Argentinien und Uruguay in See gestochen ist.

Sie laufen zurück in die Stadt. Als sie am Schloss angekommen sind, fotografieren sie sich gegenseitig, Józef mit dem Kinderwagen, Marianne, wie sie auf einer Bank sitzt, mit ihrem Sohn auf dem Arm.



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