Die Leber wächst mit ihren Aufgaben by Dr. med. Eckart von Hirschhausen
Autor:Dr. med. Eckart von Hirschhausen [Hirschhausen, Dr. med. Eckart von]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644401822
Herausgeber: Rowohlt E-Book
Krankheit
Praxisgebühr – Halber Eintritt für Hypochonder
Gleich mache ich mich unbeliebt. Achtung – jetzt: Ich finde die Idee mit der Praxisgebühr gar nicht so falsch. Punkt. Jetzt ist es raus. Steinigen Sie mich. Aber mal ehrlich: Würden Sie dieses Buch lesen, wenn es umsonst gewesen wäre? Na also, was nichts kostet, ist auch nichts. Im Kern ist die Gebühr richtig, nur bei der Umsetzung gibt es noch viele «handwerkliche Fehler». Die Schlagzeile «Auch Tote zahlen Praxisgebühr» sorgte zu Recht für Unmut. Ulla Schmidt ließ auch keine drei Wochen später klarstellen: Tote zahlen nur im ersten Quartal, und wenn es chronisch wird, dann nicht mehr als zwei Prozent ihrer Lebensversicherung.
Seit ich vor über zehn Jahren von der Klinik zum Kabarett umgestiegen bin, habe ich sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Eintritt zu nehmen. Die Klientel sortiert sich, und die Erfahrung ist durchaus übertragbar: Auch Arztpraxen sind Teil der Unterhaltungsindustrie. Warum gehen Leute zum Arzt? Damit sie herausbekommen, was ihnen fehlt? Quatsch. Das wissen die doch schon. Es wäre ja auch sehr erstaunlich, wenn jemand, der Sie erst drei Minuten kennt, besser über Sie Bescheid weiß als Sie selbst. Deshalb erwartet das auch keiner von einem Arzt. Viele sind einsam, alt, und keiner interessiert sich mehr für ihren Körper – außer dem Arzt.
Wir haben schon als Kinder gelernt: Sobald du krank bist, kümmert sich jemand um dich. Und das fällt uns irgendwann wieder ein. Unser zutiefst menschliches Bedürfnis nach Nähe und Anerkennung wird mit einem kalten Stethoskop auf der Brust beantwortet, wir suchen Zärtlichkeit, und wenn es hochkommt, gibt es Saugnäpfe und ein EKG. Das ist herzlos und für beide Seiten unbefriedigend. Zudem sehr teuer, wenn man einmal bedenkt, wie viel Körperkontakt man sich mit den Gesundheits-Milliarden in anderen Teilen der Stadt leisten könnte …
Viele gehen doch zum Arzt, damit danach nicht der Arzt weiß, was sie haben, sondern alle anderen Menschen im Wartezimmer. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und da gibt es viel zu teilen. Das Wartezimmer ist eine Art Selbsthilfegruppe, der inoffizielle Treffpunkt der AA, der Anonymen Ärztehopper. Weil der Zugang zu dieser Gruppe so einfach und kostenfrei für den Patienten war, sind die Deutschen Weltmeister geworden in Wartezimmern. Wir gehen vierzehnmal im Jahr zum Arzt, fünfmal so oft wie die Schweden. Warum nur nutzt man dieses Potenzial nicht therapeutisch und kosteneffizient?
Mein Vorschlag: Lasst uns von anderen Teilen der Unterhaltungsindustrie lernen. So wie der Montag und der Dienstag zum Kinotag ausgerufen wurden, deklarieren wir den Mittwoch kollektiv zum Arzttag. Mittwochnachmittags sind die Praxen doch eh zu. Es kostet kaum etwas, das Wartezimmer offen zu lassen. Dafür halber Eintritt. Statt zehn Euro muss man nur fünf zahlen, und als Kennlernangebot ist anfangs noch ein Getränkegutschein mit dabei. Die Patienten dürfen Röntgenbilder mitbringen und sich über Leidenswege, Fehlbehandlungen und Masseure mit kalten Händen austauschen. Alles, was man wirklich wissen will.
Gegen sechs schauen dann alle rollenden Auges auf die Uhr. Und einer spricht es aus: «Jetzt haben wir drei Stunden gewartet, das lassen wir uns nicht gefallen, wir gehen.» Mit dieser gemeinschaftsstiftenden Empörung zieht man um zum Italiener an der Ecke – und allen ist geholfen.
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