Die Kunst des Hungers • Essays und Interviews by Paul Auster

Die Kunst des Hungers • Essays und Interviews by Paul Auster

Autor:Paul Auster [Auster, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783644467712
Herausgeber: Rowohlt Digitalbuch
veröffentlicht: 2015-01-26T16:00:00+00:00


– 4 –

… in der Überzeugung, dass Übersetzen letzten Endes Irrsinn ist.

Maurice Blanchot

Als ich anfing, mich mit der Herausgabe dieser Anthologie zu beschäftigen, gab mir ein Freund einen guten Rat auf den Weg. Jonathan Griffin, der nach dem Krieg in Paris als britischer Kulturattaché tätig war und neben einigen Büchern von de Gaulle auch zahlreiche Dichter von Rimbaud bis Pessoa übersetzt hat, war schon lange genug im Geschäft und besaß in solchen Dingen wesentlich mehr Erfahrung als ich. Jede Anthologie, sagte er, hat zwei Arten von Lesern: Die Kritiker, die das Buch nach dem beurteilen, was nicht darin ist, und die normalen Leser, die tatsächlich lesen, was in dem Buch enthalten ist. Er riet mir, vor allem an diese zweite Gruppe zu denken. Schließlich seien die Kritiker ja zum Kritisieren da und ohnehin mit dem Stoff vertraut. Hingegen solle man stets bedenken, dass die Mehrheit den größten Teil dieser Gedichte zum ersten Mal lesen werde. Und eben diese Leute würden von einer solchen Anthologie am meisten profitieren.

In den zwei Jahren, die ich mit der Zusammenstellung dieses Buches beschäftigt war, habe ich mir diese Worte oft ins Gedächtnis zurückgerufen. Sie zu beherzigen, ist jedoch nicht immer leicht gewesen, bin ich selbst mir doch nur zu bewusst, was alles nicht aufgenommen werden konnte. Mein ursprünglicher Plan für die Anthologie hatte fast hundert Autoren vorgesehen. Außer vertrauteren literarischen Formen wollte ich auch eine Reihe exzentrischer Werke vorstellen, zum Beispiel Konkrete Poesie, Lautgedichte und Kollektivarbeiten, und ich wollte, wenn es von einem Gedicht mehr als eine gute Übersetzung gab, die verschiedenen Versionen zusätzlich anbieten. Bei fortschreitender Arbeit wurde mir klar, dass dies nicht möglich sein würde. Ich sah mich mit der unglücklichen Aufgabe konfrontiert, einen Elefanten in einen Fuchskäfig zu sperren. Widerstrebend änderte ich meine Pläne. Wenn ich nur die Wahl hatte, entweder jeweils einige wenige Gedichte von vielen Dichtern oder eine fundierte Auswahl aus den Werken einer kleineren Zahl von Dichtern vorzustellen, konnte die Entscheidung nicht schwerfallen: Die zweite Lösung war offenbar die klügere und schlüssigere. Statt mir auszumalen, was ich selbst gern alles in der Anthologie sehen würde, versuchte ich die Dichter zu ermitteln, die auf gar keinen Fall ausgeschlossen werden durften. Und so reduzierte ich die Zahl am Ende auf achtundvierzig. Das war ein schwieriger Entscheidungsprozess, und wenn ich auch zu meiner Auswahl stehe, tut es mir doch leid um all diejenigen, die ich nicht aufnehmen konnte.[14]

Das Fehlen einiger anderer Namen wird ebenfalls Anlass zu Fragen geben. Um das Buch auf die Poesie des 20. Jahrhunderts zu beschränken, musste ich mich auf einen Zeitpunkt festlegen, an dem die Auswahl beginnen sollte. Als entscheidendes Jahr ergab sich 1876: Dichter, die davor geboren wurden, kamen nicht mehr in Betracht. Auf diese Weise konnte ich guten Gewissens auf Dichter wie Valéry, Claudel, Jammes oder Péguy verzichten, die alle am Ende des 19. Jahrhunderts zu schreiben anfingen und bis weit ins zwanzigste hinein weiterschrieben. Gewiss überschneiden sich ihre Werke zeitlich mit vielen der in diesem Buch vorgestellten Dichter, doch gehören sie offenbar einer früheren geistigen Epoche an.



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