Die Kreuzfahrer (German Edition) by Wladimir Kaminer

Die Kreuzfahrer (German Edition) by Wladimir Kaminer

Autor:Wladimir Kaminer [Kaminer, Wladimir]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Wunderraum
veröffentlicht: 2018-08-19T22:00:00+00:00


Tallinn

Am Morgen, als wir aufwachten, war unser Schiff bereits in Tallinn angelangt. Wir hatten die Stadt das letzte Mal vor fünfzehn Jahren besucht. Ein estnischer Verlag hatte damals mein Buch Militärmusik übersetzt und mich zur Buchpräsentation eingeladen. Ich war sehr aufgeregt. Zum ersten Mal erschien eines meiner Werke in einer Fremdsprache, zum ersten Mal fuhr ich ins Ausland – nicht als russischer Tourist, sondern als deutscher Schriftsteller, um den Esten die deutsche Kultur näherzubringen.

Ich glaube, jeder Schriftsteller freut sich, wenn seine Werke in andere Sprachen übersetzt werden. Er kann diese zwar meist nicht lesen und nicht nachprüfen, ob er nun einen guten oder schlechten Übersetzer erwischt hat, aber er kann sich als Weltschriftsteller fühlen und das auch kurz im Gespräch mit Kollegen später erwähnen: »Übrigens, mein Buch ist gerade auf Estnisch erschienen.« Manchmal sagt dann der Kollege: »Na und? Meines schon lange!« Und beide schweigen eine Weile. Sie wissen nicht, wie die Reaktion in Estland auf ihre Werke ist, ob die Esten einander begeistert aus dem Buch vorlesen oder es nur zum Zigarettchendrehen oder Fischeinpacken benutzen. Sie wundern sich vielleicht, dass die estnische Ausgabe nur halb so dick ist wie das Original, und sie können den Namen ihres Verlags nicht aussprechen. Ihr Honorar beträgt zwanzig Euro, die in Raten gezahlt werden, aber erst nach dem vollständigen Ausverkauf der ersten Auflage, versteht sich. Und trotzdem hört sich das unglaublich cool an – »meine estnischen Leser«.

Ich wusste wenig über Estland. Das Land ist klein. Es hat nur 1,4 Millionen Einwohner, von denen ein Drittel nach Finnland abgewandert ist, ein Drittel sind Russen und das letzte Drittel wahrscheinlich Finnen, die zum Saufen nach Estland gefahren sind und es nicht mehr nach Hause geschafft haben.

»Um sich über Wasser zu halten, arbeiten die estnischen Verlage eng mit Sponsoren zusammen«, erklärte mir mein estnischer Gastgeber. Mein Buch wurde beispielsweise von der Tallinner VW-Zentrale mitfinanziert, deswegen sollte die Buchpräsentation in der VW-Vertretung »Sacksa« stattfinden. »Sacksa« heißt auf Estnisch Sachsen und steht für Deutschland. Gemäß einer Idee des Veranstalters musste ich in einem nagelneuen VW Käfer – auf Estnisch: VW Puck – in den Verkaufsladen fahren, aus dem Fenster schauen und anschließend meine Bücher an das umstehende Publikum verteilen.

Die Einladung klang großzügig. Ich durfte auch meine Frau und einen Freund mitbringen. Der Verlag besorgte uns Flugtickets und stellte drei Übernachtungen in einer landestypischen Künstlerwohnung zur Verfügung. Wir überlegten nicht lange und flogen zu dritt hin. Olga meinte, in Tallinn würde sie für ihre Engel-Sammlung bestimmt ein paar neue Exponate finden, und mein Freund Helmut wollte sich in Tallinn einen estnischen Anzug kaufen. Weil wir unterwegs noch eine Zwischenlandung mit drei Stunden Aufenthalt in Helsinki hatten, wo Alkohol sehr teuer ist, nahmen wir einiges mit – Rum, Wodka und Gin – und freuten uns schon auf die gemeinsamen Stunden bei VW Sacksa.

Die ganze Sache hatte nur einen Haken: Keiner von uns besaß einen Führerschein. Den von Helmut hatte die Berliner Polizei kurz zuvor konfisziert, weil er sich erlaubt hatte, im falschen Wagen am falschen Ort mit der richtigen Geschwindigkeit zu fahren und auf kein amtliches Anschreiben reagiert hatte.



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