Die Klavierspielerin • Roman by Elfriede Jelinek

Die Klavierspielerin • Roman by Elfriede Jelinek

Autor:Elfriede Jelinek
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
ISBN: 9783644018716
Herausgeber: Rowohlt Digitalbuch
veröffentlicht: 2015-06-03T21:00:00+00:00


Mit der einen Hand hat Erika Kohut soeben auf dem Klavier der Vernunft, mit der anderen auf dem Klavier der Leidenschaften gespielt. Zuerst haben sich die Leidenschaften ausgewirkt, jetzt ist die Vernunft dran, die sie eilig durch finstre Alleen hindurch nach Hause treibt. Doch auch die Leistungen der Leidenschaft haben andere an ihrer Statt erbracht. Die Lehrerin hat sie betrachtet und ihnen Noten gemäß ihrer Skala ausgestellt. Fast wäre sie dabei in eine der Leidenschaften mitten hineingezogen worden, falls man sie erwischt hätte.

Erika jagt durch Baumreihen dahin, wo schon der Baumtod durch Mistelsorten umgeht. Viele Äste mußten von ihrem Stammplatz bereits Abschied nehmen und endeten im Gras. Erika verläßt im Galopp ihren Beobachtungsposten, um sich wieder ins gemachte Nest zu setzen. Äußerlich deutet nichts auf Verstörung hin. Doch ein Wirbelsturm erhebt sich in ihr, sieht sie am Pratersrand junge Männer mit jungen Körpern herumstreunen, denn altersmäßig könnte sie schon fast deren Mutter sein! Alles, was vor diesem Alter geschah, ist unwiderruflich vorüber und kann niemals wiederholt werden. Doch wer weiß, was die Zukunft bringt. Bei dem heutigen hohen Stand der Medizin kann die Frau bis ins hohe Alter hinein ihre weiblichen Funktionen ausüben. Erika zieht einen Reißverschluß hoch. Auf diese Weise sperrt sie sich vor Berührung ab. Auch vor einer zufälligen Berührung. Doch im wunden Inneren grast der Sturm ihre noch saftigen Weiden ab.

Wo die Taxis stehen, weiß sie genau, und sie steigt in das vorderste der Schlange ein. Von den weiten Matten des Volkspraters ist nichts als ein wenig Feuchtigkeit an den Schuhen und zwischen den Beinen zurückgeblieben. Leicht säuerlich steigt ein Geruch unter dem Rock auf, den der Taxifahrer sicher nicht wittern kann, weil sein Deodorant alles übertönt. Der Fahrer will den Fahrgästen seinen Fahrtenschweiß nicht zumuten und muß auch die Sauereien der Gäste nicht wahrnehmen. Es ist warm und vollkommen trocken im Wagen, die Heizung arbeitet still, sie kämpft gegen die kühle Nacht. Draußen laufen die Lichter vorüber. Die dunklen, endlosen Klötze der Altbauten des zweiten Bezirks, lichtlos und stumpf schlafend, die Brücke über den Donaukanal. Kleine, unfreundliche, mit Verlust getränkte Gasthäuser, aus denen Betrunkene herausfliegen, rasch aufspringen und aufeinander einschlagen. Alte Frauen mit Kopftüchern, die ihre Hunde zum letzten Mal an diesem Tag herauslassen, hoffend, daß ihnen ein einziges Mal ein einsamer alter Mann begegnen möge, der auch Hunde hält und außerdem noch verwitwet ist. Erika wird an alldem blitzschnell vorbeigezogen, eine Gummimaus an einem Schnürchen, der eine riesenhafte Katze spielerisch nachspringt.

Ein Rudel Mopeds. Mädchen in hautengen Jeans, die einen Anklang an eine echte Punkfrisur auf dem Kopf haben. Doch es gelingt ihren Haaren nicht, aufrecht stehen zu bleiben, sie fallen immer zusammen. Fett in den Haaren allein genügt noch nicht. Sie werfen sich immer verzweifelt zurück an die Kopfhaut, die Haare. Und die Mädchen werfen sich hinter den Mopedpiloten auf den Sitz und surren rasch davon.

Die Urania läßt einen Haufen Wißbegieriger aus einem Vortrag heraus, die sich herdenartig um den Vortragenden scharen und drängeln. Sie wollen noch mehr über das System der Milchstraße erfahren, obwohl sie eben alles gehört haben, was es zu hören gibt.



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