Die Kette by Mani Beckmann

Die Kette by Mani Beckmann

Autor:Mani Beckmann
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Books on Demand


3. Der Gelähmte

Ich weiß gar nicht, was Wigger immer hat, dachte Hilkenbach, als er am nächsten Morgen den Rollstuhl durch den Schlosspark von Ahaus schob, es ist doch ganz nett, dieses Münsterland. Hübsch grün alles, schön flach und übersichtlich. Wiesen und Felder, Weideland mit ausdruckslos kauendem Vieh. Die Kühe taten Hilkenbach ein wenig leid, bei der Kälte. Hier und da gab es ein Wäldchen, überall Flüsse und Bäche, die holländische Grenze nicht weit entfernt. Auch dieses Wasserschlösschen, das er gerade zum zweiten Mal umkurvte, war recht ansehnlich. Schnuckelig wie ein Spielzeuggebilde. Das Spielzeug irgendeines Bischofs.

Und an den seltsam bäuerlichen Akzent, an die Leute, die ständig so reden, als hätten sie heiße Kartoffeln im Mund, wird man sich doch auch gewöhnen.

Vorsichtig blickte der Kommissar Tenbrink über die Schulter, doch dieser schlief noch immer, ein kindliches Grinsen auf den Lippen.

Aber vielleicht stimmt es doch, nahm der Kommissar den Gedanken wieder auf, dass ein Ort immer nur dann schön ist, wenn man ihn mit Touristenblick betrachtet, wenn man nicht gezwungen ist, dort zu leben. Ihm ging es ja eigentlich ähnlich. Als gebürtiger Berliner, als waschechter »Icke« (auch sein Großvater war schon in Berlin geboren, erst das machte bekanntlich einen echten Berliner zu einem waschechten) hatte er nie verstehen können, was die Massen von Menschen, die Millionen von Touristen nach Berlin zog. Auch während seiner Studienzeit hatte er sich stets über seine Kommilitonen gewundert, die mehr oder weniger freiwillig in die Stadt gekommen waren, um dort zu studieren. Trotz Mauer und Insellage und allem.

In Berlin ließ es sich ja einigermaßen leben, das wollte Hilkenbach gar nicht bestreiten, er hätte sich sogar kaum vorstellen können, in einer anderen Stadt zu leben. Aber so etwas wie lokalpatriotischen Stolz konnte er beim besten Willen nicht nachempfinden. Womit er, wie er nur zu gut wusste, in krassem Gegensatz zu einigen seiner Kollegen bei der Polizei stand, die anscheinend keinen Handschlag tun konnten, ohne sich vorher einzureden, es sei allein zum Wohle der Stadt.

Hilkenbach dachte an die beiden Kollegen, mit denen er hauptsächlich zusammenarbeitete. Der eine war Halbschwabe, der andere Vollwestfale, soviel zur Berliner Polizei. Der Kommissar konnte sich bei dem Gedanken ein Lachen nicht verkneifen. Es wirkte ein wenig deplatziert in seinem hageren, leicht verfrorenen und rot angelaufenen Gesicht. Im Prinzip hätte er schlecht gelaunt sein müssen, immerhin war er fast 600 Kilometer gefahren, nur um diesen schlafenden Josef Tenbrink durch die Gegend zu chauffieren. Diesem war nämlich heute Morgen als Erstes eingefallen, den blond gelockten Zivildienstleistenden der Caritas nach Hause zu schicken.

»Ich hab ja jetzt jemanden, der mich durch die Stadt kutschiert«, hatte er stolz gesagt und den Besuch aus Berlin angelächelt. »Nicht wahr, Herr Kommissar?«

Der Zivi hatte sich das nicht zweimal sagen lassen und war in Nullkommanichts über alle Berge gewesen. Hilkenbach hatte keine Wahl gehabt und so getan, als wäre es ihm eine Freude. Zu allem Überfluss war Tenbrink dann aber, kaum dass er im Freien an der frischen Luft war, friedlich eingeschlummert.

Vielleicht hätte Hilkenbach es gestern Morgen doch bei seinem Telefonat aus Berlin belassen sollen, aber das Telefonieren hatte sich als durchaus problematisch erwiesen.



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