Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber by Victoria Janssen
Autor:Victoria Janssen
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: MIRA Taschenbuch
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
14. KAPITEL
B isher war Henri auf der Reise ziemlich verwöhnt worden. Daher war er nach drei Nächten, in denen er auf dem harten Boden geschlafen und sich nur flüchtig gewaschen hatte, höchst dankbar, als sie wieder an einem Gasthof hielten. Auch wenn es nur darum ging, einen Kurier zu treffen, den die Verbündeten der Herzogin aus dem Palast dorthin gesandt hatten, würden sie wahrscheinlich nicht wieder mitten in der Nacht fliehen müssen.
Dieses Mal würde er nicht in der Scheune schlafen, denn seine neue Rolle war die von Sylvies älterem Bruder. Er achtete darauf, sie bei jeder Gelegenheit “kleiner Bruder” zu nennen, und ein oder zwei Mal schnippte er ihr mit dem Zeigefinger gegen den Hinterkopf, wenn jemand auf der Straße zu ihnen hersah oder er genug Platz hatte, sich vor ihr in Sicherheit zu bringen. Kaspar spielte mit viel Lärm und Getöse ihren Vater und die Herzogin seine stille, bescheidene Frau.
Henri hatte sogar die Pferde und Maultiere so gut es ging unkenntlich gemacht, indem er ihre Mähnen abgeschnitten und das Aussehen ihrer edlen Körper durch schlechte Pflege und das Beschmieren mit Lehm und Pflanzensäften verändert hatte. Er hoffte, dass niemand das Sattel- und Zaumzeug erkannte. Schon zu Beginn der Reise hatte er alle Verzierungen entfernt, sodass die Sättel wirkten, als wären sie aus zweiter oder dritter Hand gekauft worden, aber ein geübtes Auge würde ihre hervorragende Qualität erkennen.
Trotz ihrer Verkleidungen fühlte sich Henri auf der belebten Küstenstraße, die zum Gasthaus führte, unsicher. Weil Sylvie ihn für seine Neckereien nicht umbrachte, glaubte er zu wissen, dass es ihr ebenso ging. Zu Kaspars Verkleidung gehörte eine riesige Axt, die aussah, als wollte er damit quer über der Straße liegende Bäume beiseiteschaffen, die er aber ausgewählt hatte, weil er sie als gefährliche Waffe benutzen konnte. Ihnen allen war klar: Wenn der Kurier ihrer Verbündeten sie finden konnte, konnten es auch die Spione des Herzogs. Einzig die Herzogin schien ungerührt, obwohl sie zum ersten Mal seit mehreren Tagen wieder mit anderen Reisenden zusammentreffen würden. Allerdings, überlegte Henri, erschien sie fast immer ungerührt.
Das Dorf, das sie am Abend erreichten, bestand aus der Hütte und der Werkstatt eines Hufschmieds, fünf schäbigen Häusern und einem Wirtshaus, in dem es drei Gästezimmer gab. Eines davon war bereits an einen Hausierer vermietet, der es gemeinsam mit seinem Lehrjungen, seinem kräftigen Hund und einem zahmen Äffchen bewohnte. Eine Familie, wie sie es vorgaben zu sein, würde nicht für zwei Zimmer zahlen, wenn eines ausreichte. Dort würde Kaspar nicht genug Platz haben, um Henri im Messerkampf zu trainieren. Auf der Straße hatte Henri sich an die Übungen gewöhnt, sodass sie ihm fehlen würden. Er richtete sich darauf ein, die Nacht auf dem Fußboden zu verbringen, von wo aus er Sylvies Schnarchen und dem unablässigen Witsch lauschen würde, mit dem Kaspar seine Klinge schärfte, während er die Tür bewachte. Wenn Sylvie in den frühen Morgenstunden die Wache übernahm, trat sie im Vorbeigehen stets nach Henri, einfach aus Prinzip.
Während Henri und Sylvie ihre Satteltaschen nach oben schleppten, kam ein dritter Reisender im Gasthaus an, ein etwa fünfzigjähriger Mann mit glänzenden Stiefeln und einem modischen Haarschnitt.
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