Die Gespenster von Berlin by Khan Sarah

Die Gespenster von Berlin by Khan Sarah

Autor:Khan, Sarah
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2013-01-20T05:00:00+00:00


Die weiße Katze

Sie hatte schon zwei Katzen, eine schwarze und eine graue, bis dann der Kater zu ihr kam, der ganz und gar weiß war, ohne einen Tupfer Farbe, ohne eine einzige Zeichnung des Fells. Die schwedische Künstlerin Annika Eriksson lebt seit einigen Jahren in Berlin. Hier hatte sie mit ihren Katzen und Kindern eine Geisterwahrnehmung, wie sie es nannte. Davon soll diese Geschichte handeln. Vorher aber müssen wir mehr über die weiße Katze erfahren, denn sie hatte besondere Fähigkeiten. Aus Gründen, die Annika Eriksson nicht ahnen konnte.

Als sie dem Kater zum ersten Mal begegnete, wohnte Annika noch in Stockholm. Sie war auf dem Weg zum Fitnessstudio. Da bemerkte sie, dass ihr ein junger weißer Kater folgte und fortwährend maunzte. Sie kehrte wieder um, weil sie zuhause etwas vergessen hatte, und der Kater kam mit. Offensichtlich war seine Pfote verletzt. Sie hatte Mitleid und ließ ihn in die Wohnung. Sie rief im Tierheim an, vielleicht wurde er schon vermisst. Es blieb eine Weile in der Schwebe. Annika überlegte – sollte sie wirklich drei Katzen halten? Das Tierheim jedenfalls meldete sich nie zurück. Nach drei Wochen wollte der Kater es wissen, er schaute Annika unverwandt an, neigte den Kopf und riss die Augen weit auf. »Okay!«, sagte sie. »Okay, du kannst bleiben.« So war es entschieden.

Auffällig war, dass der Kater immer im Haus blieb, nicht in den Garten hinausgehen mochte. Weder in Schweden noch später in Berlin. Selbst wenn die Familie mit allen drei Katzen ins Landhaus fuhr, der weiße Kater blieb drin. Die schwarze und die graue Katze genossen das ländliche Revier, jagten, kletterten, lagen auf der Wiese und sonnten sich. »Er hatte etwas Majestätisches«, sagt Annika. »Jetzt lebt ein Prinz bei uns, sagten meine Kinder immer, er ist anders als die anderen Katzen. Er kommt von einem Königshof, da ist er weggelaufen.« Er ist ein Prinz, ein Prinz aus Schweden. Deshalb nannten sie ihn Prinsis. Einmal war Prinsis unvermittelt vom Balkon gefallen, ein tiefer Fall, er hatte Prellungen. Vielleicht mochte er deshalb nicht mehr raus? Als er einmal doch verschwand, hängte Annika Suchplakate auf. Eine sehr bekannte schwedische Autorin meldete sich, sie sagte, der Kater sitze den ganzen Tag an ihrem Fenster, als warte er auf jemanden. Annika war erleichtert. Jetzt weint sie nicht mehr, wenn sie an ihn denkt, den Kater, der nun tot ist. Er starb vor einem Jahr in ihrer Wohnung in Berlin Mitte. In einem schiefen, von quietschend-holzigen Geräuschen durchzogenen Mietshaus aus dem Jahr 1755, an dem abzulesen ist, dass Handwerk und Wohnen hier einmal zusammengehörten. Mittlerweile steht das Haus unter Denkmalschutz, inmitten einer aufgeräumten Gegend nah am Hacke’schen Markt, die vor allem fürs Shoppen und Lunchen prächtig taugt. Vor dem Haus sind messinggoldene Stolpersteine in den Straßenbelag eingelassen, sie erinnern an das Ehepaar und ihre beiden kleinen Töchter, die auch einmal in diesem Haus lebten und die man unwiederbringlich wegschaffte, nach Auschwitz und Buchenwald, um sie zu töten.

Annikas Wohnung ist mit Designklassikern, farbigen Lampen und vielen Vasen und Büchern eingerichtet. Auf den Sitzen halten sich gefaltete Wolldecken bereit.



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