Die Geometrie Der Liebe by Luigi Trucillo

Autor:Luigi Trucillo [Trucillo, Luigi]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: mare
veröffentlicht: 2014-12-31T23:00:00+00:00

IV

DU BIST AM ZUG. Ein paar Tage nach deiner Rückkehr siehst du sie von Weitem im Auto vorbeifahren. Du schickst ihr eine kleine Karte, auf die du ein Haiku von Ryōkan geschrieben hast: »Vom Dieb zurückgelassen / der Mond im Fenster!«

Sie antwortet dir eine Woche später mit dem Haiku eines Dichterfreundes von ihr über die österreichische Nervenheilanstalt Steinhof: »Wertvoll ist das Bild / eines Hundes / wenn Zähne / zuschnappen.«

»Hallo«, begrüßt du sie am Telefon.

»Hallo.«

»Du bist also da.«

»Für dich immer … Wenn ich dich ertragen kann«, fügt sie hämisch kichernd hinzu.

»Und seit wann bist du zurück?«

»Seit zwei Wochen. Allerdings hab ich jetzt schon die Nase voll. Hier ist alles so verstaubt …«

»Und die schnappenden Hunde?«

»Die Hunde … bellen den Mond an.«

Du kannst nicht umhin zu lächeln. »Du hast mir gefehlt«, wagst du einen Vorstoß.

»Du weißt ja, wo ich wohne. Mein Haus steht noch.«

»Soll ich das als Aufforderung verstehen?«

»Viel mehr als das. Als Befehl. Und als Hilferuf.«

Es ist der gemeinsam aufgestellte Kodex, der eine tiefe Verbundenheit zwischen Liebenden schafft, es sind die geteilten Vorstellungen, durch die unsere an der Oberfläche liegenden Wünsche Wurzeln schlagen können. Dies geht dir durch den Kopf, als du erneut in ihren Armen liegst und wieder mit allen Sinnen das Einvernehmen genießt, das eure Wortgeplänkel beflügelt. Du siehst sie an, kneifst die Augen in der Dunkelheit zusammen. Bis gerade hast du den Clown gespielt, wie sie es so sehr mag, doch jetzt, wo ihr Kopf in deiner nackten Achselhöhle ruht, kannst du dich wieder der blauen Wärme hingeben, die aus euren liegenden Körpern züngelt.

Es regnet. Das Geräusch der Tropfen verscheucht jeden Gedanken. Von der Terrasse zu euren Füßen aus gesehen atmet die Stadt zischend große Wolken glitzernder Feuchtigkeit aus. Die Nachtluft, die durch die Fenster zu euch hereindringt, ist eine Flüssigkeit, ein unbekanntes Element, das zwischen euch hindurchfließt und sich dabei zu plötzlichen Stichflammen aus Neonlicht verdichtet.

Einen Moment lang scheint es dir, als würdest du auf diesem Schachbrett aus Lichtflecken, die in den Räumen der Wohnung pulsieren, eine Gestalt erblicken, ein sehnsuchtsvoll verschwommenes Bild …

Du seufzt. Siehst dich um. Im Dunkeln nimmst du nur das Ticken deiner Uhr wahr. Was hat sich verändert in diesem ihrem Zimmer, das in Glamour erstarrt ist?

Erneut seid ihr eingetaucht in das alte Gefühl eines un ausdrückbaren Flatterns, das zugleich scharf ist wie die Spitze eines Diamanten. Wie in Trance nimmst du neben ihr wahr, dass du deiner selbst enteignet bist …

»Hast du manchmal von mir geträumt? Ich von dir ganz oft, leider …«, sagt sie und kräuselt die Lippen in gespielter Enttäuschung, und du – du kannst einfach nicht anders – hältst ihr sogleich einen improvisierten Vortrag darüber, dass Träume wie Fliegen sind, sie stechen dich, du verjagst sie, und dennoch setzen sie sich immer wieder auf dich, angezogen von deiner Wärme. Daher muss man alles daransetzen, sie einzufangen, sonst fressen sie einen bei lebendigem Leibe auf.

»Aber selbst wenn du es schaffst, sie zu packen, stehst du am Ende so da …«, beendest du deine Rede und öffnest dabei die Faust vor ihrer Nase, sodass deine leere Hand zu sehen ist.

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