Die Geheimakte by Kyle Mills

Die Geheimakte by Kyle Mills

Autor:Kyle Mills [Mills, Kyle]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-22T00:00:00+00:00


ACHTUNDZWANZIG

David Hallorin konzentrierte sich fast ausschließlich auf das, was er aus den Augenwinkeln sah – das Studiopublikum auf den ansteigenden Sitzreihen, die irgendwo in der Dunkelheit verschwanden, und Oprah Winfrey, die auf der Treppe in der Nähe der Bühne stand.

Für die Fernsehkameras und die Millionen Zuschauer vor den Fernsehschirmen dagegen sah es so aus, als würde er seine ganze Aufmerksamkeit Phillippe Mohamed widmen und dem Führer der Nation of Islam nachdenklich zunicken, während dieser in präzisen, kurzen Sätzen redete.

Die letzten fünfzig Minuten waren die schwierigsten in Hallorins Karriere gewesen. Es war absolut entscheidend, Mohamed gegenüber gerade so viel Respekt zu zeigen, dass er dessen Programm nicht durch offensichtliche persönliche Feindseligkeiten diskreditierte, aber doch nicht so viel, dass Mohameds zahlreiche weiße Kritiker den Eindruck bekamen, Hallorin wäre ein Schwächling. Es war ein fast schon unmöglicher Balanceakt, den er geradezu brillant gemeistert hatte. Schon bevor er die Aufzeichnung der Sendung gesehen hatte, wusste Hallorin, dass er ein Stück Fernsehgeschichte geschrieben hatte.

Hallorin hörte nur halb hin, wie Mohamed seine Hetzrede fortsetzte, die er vor drei Minuten begonnen hatte. Es war immer das Gleiche – das böse weiße Amerika, die heimlichen Verschwörungen, um die Schwarzen niederzuhalten, die Faselei über afroamerikanische Geschichte.

»… übliche Muster aus Sklaverei und Erniedrigung.«

Mohamed faltete die Hände in seinem Schoß und ließ seine letzten Worte in der Luft hängen, während er Hallorin mit dem höflichen Lächeln anstarrte, das ihm dauerhaft ins Gesicht gemeißelt schien. Hallorin antwortete ihm nicht sofort, sondern gab sich den Anschein, als würde er den Worten des Mannes die reifliche Überlegung geben, die eine lautstark krähende Minderheit für ihr gutes Recht hielt.

»Ich glaube«, begann Hallorin langsam, »dass es für die afroamerikanische Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung ist, nach vorn in ihre Zukunft zu sehen – und nicht rückwärts in ihre Vergangenheit. Das Sklaventhema ist natürlich immer da, es lauert im Hintergrund und schafft eine Atmosphäre der Schuld und des Misstrauens. Daher sollten wir kurz darüber reden.« Er trank einen Schluck Wasser aus dem Glas neben sich, vor allem wegen der dramatischen Pause, die er dadurch einlegen konnte, aber auch, weil die Scheinwerfer eine solche Hitze auf ihn warfen, dass er kurz davor stand, in Schweiß auszubrechen – und das konnte sich kein Politiker leisten.

»Nicht einmal fünf Prozent der weißen Amerikaner haben jemals Sklaven besessen – der Rest von ihnen hat lediglich auf den eigenen Feldern gearbeitet und versucht, die Kinder ordentlich großzuziehen. Alle, die zu der kleinen Gruppe gehörten, die am Sklavenhandel teilgenommen hat, sind schon vor Jahren gestorben – es ist mehr als unwahrscheinlich, dass jemand in den Vereinigten Staaten jemanden kennt, der einen Sklaven besessen hat. Die andere Seite dieser Geschichte besteht darin, dass hunderttausende weißer Amerikaner bei der Befreiung der Sklaven gestorben sind. Aber auch das ist irrelevant – die Leute, die diesen Teil der amerikanischen Geschichte geschrieben haben, sind schon seit einem Jahrhundert tot.«

Hallorin schlug die Beine übereinander und gestattete sich ein ironisches Lächeln. »Wissen Sie, in was für einer Situation ich gerade bin? In diesem Moment starren meine Gegner wie gebannt auf ihren Fernseher und warten darauf, dass ich etwas sage, das sie gegen mich verwenden können.



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