Die Frau mit den Regenhänden Roman by Wolfram Fleischhauer
Autor:Wolfram Fleischhauer [Fleischhauer, Wolfram]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426416723
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2015-12-01T16:00:00+00:00
X. Kapitel
II. Heft, 11. Juli 1992
Zimt! Ihr Parfüm hatte auch davon etwas.
Ich stand seit zehn vor acht an dieser Ecke und musterte die Passanten. Ich war mir sicher, daß ich sie zwischen den vorübertreibenden Menschentrauben frühzeitig erkennen würde. Ihr Gang hatte etwas Besonderes. Sie ging sehr aufrecht, neigte aber manchmal ein wenig den Kopf, als versuchte sie, mit dem linken Ohr ein Geräusch oder einen Ton über sich aufzufangen. Ich ging davon aus, daß sie mit der Metro und daher über die Champs-Elysées kommen würde.
Ich hatte den ganzen Tag über meine Notizen aus dem Buch von Rodenberg nach Passagen über Mode durchforstet. Ansonsten hatte ich viel herumgesessen, auf die Uhr geschaut und mehrmals erfolglos versucht, am Kapitel über die Beleuchtung weiterzuschreiben. »Das offene Feuer der damals üblichen Gasbeleuchtung bedeutete in Anbetracht der feuergefährlichen Dekorationen, vor allem wegen der mit Leintüchern abgehängten Decken, eine große Gefahrenquelle. Die Kommission lehnte die Verantwortung ab und ordnete die Schließung der Ausstellung bei einbrechender Dunkelheit (18 Uhr) an. Auf eine Beleuchtung des Gebäudeinneren war daher verzichtet worden.«
Das Ergebnis von drei Stunden am Schreibtisch.
Als ich geduscht, rasiert und angekleidet in meinem Zimmer stand, war es gerade erst sechs Uhr. Im letzten Moment hätte ich den Anzug fast wieder ausgezogen. Die Person da im Spiegel kam mir fremd vor.
Ich setzte mich hin, stand wieder auf, als würden die Hose und das Jackett dadurch weniger neu aussehen. Dabei existierte der ungetragene Eindruck des Stoffes nur in meinem Kopf. Selbst neues Leinen wirkt nicht neu. Erst auf der Straße, als ich mein Spiegelbild in Schaufenstern sah oder anderen Männern mit weitaus extravaganterem Outfit begegnete, wuchs ich allmählich in dieses ungewohnte Körpergefühl hinein, das modische Kleidung hervorrufen kann. Einen passenden Mantel besaß ich freilich nicht, und so fröstelte ich ein wenig.
Um zwanzig vor neun hatte ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut. Ich bemerkte sie erst, als sie mich von der Seite ansprach. Sie war aus der Rue de Washington gekommen. Der erste Augenblick hatte etwas Unwirkliches. Ich wäre maßlos enttäuscht gewesen, wenn sie nicht gekommen wäre, aber ganz im Innersten hatte ich fast damit gerechnet. In der Zehntelsekunde, noch vor den bisoux und dem flüchtigen Eindruck von Zimt, überkam mich das Gefühl einer unglaublichen Ruhe. Der Zustand hielt nicht lange an, aber so lange er währte, sah ich mich, wie ich ihr meinen Arm anbot und sie die Rue de Washington hinabführte. Erst nach einigen Schritten, als sie ihren Arm behutsam, aber bestimmt wieder zurückzog, um ihre Handtasche bequemer zu schultern, kehrte meine Unruhe zurück. Ich machte keinen Versuch mehr, mich erneut bei ihr unterzuhaken, wechselte nur die Seite, um sie gegen den Verkehr abzuschirmen. Aber aus der Empfindung von zuvor hatte ich trotz aller Nervosität einen veränderten Umriß meiner selbst gewonnen. Möglich, daß dies der einzige Abend sein würde, den ich jemals mit ihr verbringen sollte. Aber der Umriß würde bleiben, auch wenn sie nur hindurchging.
Ich erklomm die vier Stufen zum Eingang des Restaurants, hielt ihr die Tür auf und fragte den Mann an der Garderobe nach Hervé.
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