Die Farbe aus der Zeit by Shea Michael

Autor:Shea, Michael [Shea, Michael,]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-01-19T11:38:29+00:00

Neuntes Kapitel

Fünf Tage später, gegen Mittag, folgte Sharon Harms’ robuster alter Buick unserem Dodge die letzten Kilometer der Bergstraße zum See hinauf. Auf einem gemieteten Anhänger transportierte sie einen starken Generator, Rollen dicker Elektrokabel und Sauerstoffbehälter. Auf die Kofferräume beider Wagen hatten wir die restliche Ausrüstung verteilt: Taucheranzüge, Taucherlungen, Sprengstoff, zwei große Unterwasserscheinwerfer, einen eigens modifizierten ›Bangstick‹ (eine Waffe, die man als Gewehr für Taucher beschreiben könnte), Munition, ein aufblasbares Rettungsfloß, Vorräte und Whisky; von einer Menge kleinerer Gegenstände ganz zu schweigen.

Obwohl die Beschaffung dieser Ausrüstung uns auf so ärgerliche Weise in Anspruch genommen hatte, da wir dafür in mehr als eine weit entfernte Großstadt fahren mussten, hatten wir uns telefonisch über den Stand der Dinge am See unterrichten lassen. Deshalb waren wir auf das vorbereitet, was wir vorfanden, wenngleich diese Vorbereitung die unheimliche Wirkung der Lage kaum zu schmälern vermochte. Der Zeltplatz war geöffnet – ein gleichmütiger Teenager ohne Hemd stand im Kassiererhäuschen. Er nahm unser Geld und steckte die Karten mit geübtem Griff unter die Scheibenwischer. Wir bogen ab auf die Zufahrtsstraße und hörten lange, bevor wir das Wasser sehen konnten, das geschäftige, fröhliche Lärmen von Kindern. Der Parkplatz war voller glänzender, knalligbunter Fahrzeuge – es war mehr los als bei irgendeinem unserer vorangegangen Besuche. Wir parkten und gingen zum Strand, hielten aber inne, während wir uns noch unter den riesigen, alten Bäumen befanden, die ihn abgrenzten. Wir erblickten ein sonnig sportliches Panorama, wie man es in der Werbung für Mentholzigaretten finden kann: ein großes Amphitheater aus Grün und Goldblau; schnelle, sich auf die Seite legende kleine Boote mit dem überschwänglichen, insektenhaften Lärm ferner Motoren; Kinder, die zahlreich wie Heuschrecken am Rand des Wassers spielten, ihr Radau so unaufhörlich und schrill wie das Zirpen von Grillen.

Es wird niemandem seltsam erscheinen, dass dieses blendende Panorama in uns ein stummes, tiefgreifendes Grauen und ein Gefühl des Trugs auslöste. Auch wenn unsere von Sonne und Wind getäuschten Sinne das Gegenteil beschworen, wussten wir doch, dass das, was wir sahen, ein miasmatischer Kessel war, ein Pfuhl der Fäulnis, und Versteck eines gnadenlosen Mörders. Und gerade die Energie und der Menschenreichtum des Spektakels steigerten das Grauen noch, das aus unseren persönlichen Erfahrungen herrührte. Denn all dieses glückliche und selbstvergessene Treiben war die Frucht – und für den hier lauernden Hunger war es in der Tat eine Frucht – einer bizarren Abfolge von Umständen, die anscheinend zum Besten unseres Feindes ersonnen worden war. Die Lage für dieses unsagbare Wesen, diesen verstohlenen Seelenfresser, so günstig zu sehen, erfüllte mich mit jener Empfindung, die in Albträumen eintritt, wenn eine unabwendbare Beschleunigung der Ereignisse die endgültige Manifestation des im Hintergrund bereits lauernden Bösen ankündigt.

Unsere Ahnung hatte uns nicht getrogen; Nugent war als tüchtiger, wenn auch unbewusster Förderer der Ziele des Feindes sehr erfolgreich gewesen. Es war, als sei er benutzt und dann weggeworfen worden, denn tatsächlich hätten wir schon nach vier Tagen, und nicht erst nach fünf, zurückkehren können, hätten wir am vorigen Morgen keinen Umweg gemacht, um Nugents Witwe zu besuchen. Doch wenn der Schaden, den

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