Die Fälscherin by Rygiert Beate

Die Fälscherin by Rygiert Beate

Autor:Rygiert, Beate [Rygiert, Beate]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783955202224
veröffentlicht: 2014-06-15T00:00:00+00:00


Lassen Sie mal sehen, raunzt sie mich an und durchsucht rüde meine Taschen. Was haben wir denn da, meint sie dann und zieht triumphierend Suses Taschentuch heraus. Hab ich Ihnen nicht gesagt, dass es verboten ist, sich irgendetwas geben zu lassen? Na dann wollen wir mal sehen ..., und sie dreht und wendet das vollgeschneuzte, verklebte Tuch, zieht es auseinander und begutachtet jeden Quadratzentimeter.

Frau Nonnenmacher, sag ich und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, es ist ein Taschentuch!

Jaja, brummt sie, das haben schon andere behauptet. Und dann waren da Botschaften drin versteckt. Wir kennen das alles.

Und da sie nichts finden kann, konfisziert sie Suses Taschentuch, und ich sitze in meiner Zelle und denke mir, wenn auf zwei Menschen Ruy Gomez’ Parabel zutrifft, dann auf Suse und mich.

Und wie damals, dort, hinter dem Zeitschleier aus Salzwinden und Jakarandaduft, wie in Sizilien, wenn ich Heimweh hatte und Sehnsucht oder wenn ich ganz einfach nicht mehr weiterwusste, erzähle ich mir diese Geschichte, Es war einmal ein Junge, der hatte von einem Weg gehört, einem Weg zur Treppe des Glücks ... Es waren einmal zwei Mädchen, die kamen aus demselben Kaff von der Schwäbischen Alb ... – wie oft habe ich die nicht erzählt, jedes Mal ein bisschen anders, du bist eine Geschichtenerzählerin, Sofie, hat mich Suse damals gescholten, heute erzählst du sie so und morgen anders, du bist eine Geschichtenverfälscherin, wenn ich jemandem unsere Abenteuer erzählte und ein wenig damit prahlte, und dennoch war auch sie süchtig nach ihnen, manchmal schien es, als lebten wir erst richtig in diesen Geschichtsvarianten, und für die Geschichte mit der Treppe zum Glück, da hatten wir so viele Versionen, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, welche die ursprüngliche war, die, die Ruy Gomez mir einst erzählte, waren wir damals überhaupt bis zum Ende gekommen ..., aber was kümmert mich Ruy Gomez, da ist eine andere Geschichte, die nur darauf wartet, dass ich in sie eintauche, dass ich hinübergehe in Sofonisbas Zeitzimmer, und das ist es, was mich tröstet, was mich dies alles hier überhaupt überleben lässt, diese Welten und Zeiten ineinander verborgen und verschachtelt wie die kleinen russischen Holzpuppen, die ich als Kind auf meinem Regalbrett stehen hatte, eine enthält alle anderen in sich und umgekehrt, genauso ist es, und wenn ich die Wände meiner Zelle lange genug anstarre und durch das Weiß der dünnen neuen Farbschicht die Zeichen erkenne, die all die anderen Frauen, die vor mir hier saßen und gegen diese Wände starrten, auf sie gekritzelt haben, dann kann ich sie fühlen und höre ihre Stimmen, und wenn ich nur wollte und die Zeit dafür reif wäre, dann könnte ich ihre Geschichten sehen, überall lauern sie, die Geschichten, überall ruhen sie und warten, dass einer kommt und sie erzählt, die Zeit ist die beste Geschichtenerzählerin. Die Zeit ist ja nichts, was vergeht, was verfließt, genauso wenig, wie das Wasser eines Flusses irgendwo hinfließt und dann fort ist für immer, nein, auch die Zeit fließt in eine Art Meer, und unsere Erinnerung ist



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