Die Fährte des Bären by Christopher Ross
Autor:Christopher Ross [Ross, Christopher]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Weltbild
veröffentlicht: 2014-12-09T00:00:00+00:00
15
Am nächsten Morgen wartete Molly vergeblich auf die Indianer. Sie frühstückte allein und blickte missgelaunt in den strömenden Regen hinaus, der von einem böigen Wind über den Ranchhof getrieben wurde. Die dunklen Wolken, die am Morgen zuvor noch weit im Westen gestanden hatten, hingen schwer über dem Clearwater River Valley und würden auch die nächsten Tage nicht verschwinden. Molly hatte die Morgennachrichten gesehen, und die blonde Wetterfee hatte mit einem breiten Zahnpastalächeln von einem atlantischen Tief gesprochen, das erst gegen Ende der Woche nach Süden abwandern würde.
Der Regen passte zu ihrer Stimmung. Sie hatte kaum geschlafen, war immer wieder aufgewacht und hatte geglaubt, die mächtige Gestalt des Bären in der Dunkelheit zu sehen. »Ich bin dein Freund«, hatte der Grizzly zu ihr gesagt. Wie konnte eine Bestie, die sogar einem ausgewachsenen Elch gefährlich werden konnte, ihr Freund sein? Hatte Kuraluk zu ihr gesprochen? War der Bär aus dem Indianermärchen auf ihre Ranch gekommen, um sie in eine bessere Zukunft zu führen? »Ein Traum, alles nur ein verrückter Traum«, sagte sie zu Dusty. »Oder hast du schon mal einen Bären getroffen, der sprechen kann?« Sie lachte kurz, als der Hund den Kopf hob und sie fragend anblickte.
Nachdem sie ihr Geschirr abgespült und in den Küchenschrank gestellt hatte, ging sie ins Büro und nahm die Vanguard von der Wand. Sie überprüfte, ob das Gewehr geladen war, und nickte zufrieden, als sie hörte, wie sich eine Patrone in den Lauf schob. Sie schlüpfte in den langen Ölmantel, zog die Gummistiefel an, setzte den Cowboyhut auf und ging mit der schussbereiten Waffe nach draußen. Vor der Veranda blieb sie stehen und blickte aufmerksam in die Runde, ohne etwas Verdächtiges zu bemerken. Erleichtert hängte sie sich das Gewehr über die Schultern. »Hier draußen kannst du nicht vorsichtig genug sein«, sagte Eddy immer, auch wenn ein Traum wenig zu bedeuten hatte. Zumindest für eine Weiße. Die Indianer dachten anders und hatten sich vor lauter Angst aus dem Staub gemacht, davon war Molly überzeugt. Sie ließ sich nicht beirren, fütterte die Schweine, sammelte die Eier von den Hühnern ein und brachte sie ins Haus.
»So ein Sauwetter hatten wir schon lange nicht mehr«, sagte sie zu Dusty. Der Hund lag an seinem Lieblingsplatz unter der Treppe. Molly füllte frisches Wasser in seinen Napf und kehrte in den Regen zurück. Sie sattelte die braune Stute und ritt mit gebeugtem Kopf auf den schmalen Pfad, der zu den Hütten des Cowboys und der Indianer führte. Der Regen raschelte im dichten Unterholz und tropfte von den Bäumen. Sie zog ihren Hut tief in die Stirn, kniff die Augen gegen den kalten Wind zusammen und lachte bei dem Gedanken, was Pam wohl sagen würde, wenn sie ihr in diesem Augenblick begegnen würde. »Du bist verrückt, Molly! Was machst du in dieser Wildnis? Warum setzt du dich nicht in deinen Wagen und fährst nach Idaho zurück?«
Wahrscheinlich würde ihre Reaktion noch stärker ausfallen, wenn sie ihr verriet, dass ein Grizzly zu ihr gesprochen hatte. Ein Bär! Aber diesen Traum würde Molly für sich behalten. Denn dass es ein Traum gewesen war, davon war sie fest überzeugt.
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