Die Erbschleicher by Simenon

Die Erbschleicher by Simenon

Autor:Simenon
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-08-15T00:00:00+00:00


6

O

wen lag noch im Bett. Die Fenster zum Garten hinaus waren offen; die Jalousien schnitten das Licht in Streifen, und die Luft, die hereinströmte, zerfloß im Zimmer zu tausend kleinen Bächen. Die Molukkenamseln hatten ihr Gezeter, das jeden Tag bei Sonnenaufgang einsetzte, noch nicht beendet. Waren es zwei? Waren es hundert? Auf dem Rasen, den ein Rasensprenger bewässerte, ergingen sie sich in endlosen lautstarken Auseinandersetzungen. Die ersten Tage war Owen von ihrem Gekreisch aufgeweckt worden. Jetzt hörte er sie zwar immer noch, aber ohne aus dem Schlaf zu erwachen; sie waren zusammen mit dem ersten Morgenlärm Teil der Geräuschkulisse.

Monsieur Roy hatte sich in seinem Kochanzug und mit der weißen Mütze auf dem Kopf vor der Haustür postiert. Die Eingeborenen, die Obst, Gemüse oder Fisch zum Markt trugen, zogen an ihm vorbei, und er hielt sie an. Er sprach in ihrer Sprache mit ihnen. Sie antworteten mit kehliger, angenehm volltönender Stimme und brachen immer wieder in Lachen aus. Madame Roy ging im Haus umher, überwachte die Reinigungsarbeiten, öffnete hin und wieder den großen normannischen Schrank auf dem Flur genau gegenüber von Owens Tür, um Leintücher, Kissenbezüge und Tischdecken herauszunehmen.

Diesen Morgen war irgend jemand mit dem Auto gekommen. Obwohl Maori gesprochen wurde, hatte Owen den Eindruck, daß die Rede von ihm war.

»Germaine«, fragte Roy seine Frau, »ist der Major schon auf?«

Madame Roy gab die Frage an das Hausmädchen weiter.

»Nelly, hat der Major schon geklingelt?«

»Ja, Madame. Vor einer halben Stunde habe ich ihm das Frühstück raufgebracht …«

Das stimmte, aber danach hatte er sich wieder ins Bett gelegt. Er ahnte schon, daß er Besuch bekommen würde, ging ins Badezimmer und zog wieder seinen Morgenrock über. Er putzte sich die Zähne und kämmte sich sorgfältig. Es klopfte.

»Herein …«

Es war Mataia, der Garagenbesitzer, an den er gar nicht mehr gedacht hatte. Er lächelte über das ganze Gesicht und drehte seine weiße Mütze zwischen den schwieligen Händen.

»Bist du mit dem Auto zufrieden, Monsieur?«

»Sehr zufrieden …«

»Ich hab hier ein kleines Papier …«

Er zog ein vierfach gefaltetes Blatt aus der Tasche und hielt es ihm hin. Man hatte ihm beim Schreiben behilflich sein müssen. Einige Wörter waren durchgestrichen, Buchstaben eingeflickt. Es war eine Quittung auf den Namen »Monsieur Major Owenne« über tausend Francs für den Verleih eines Autos.

Hatte Mac Lean dem Major nicht gesagt, er würde bis zu seiner Abreise nichts mehr von dem Garageninhaber hören? Owen sah ihn an und merkte deutlich, daß er verlegen war.

»Du willst, daß ich bezahle?«

Und der andere, der am liebsten gesagt hätte, daß es keine Eile habe, nickte zustimmend. Der Major holte seine Brieftasche, nahm einige Scheine heraus und reichte sie dem Maori.

»Bist du mir nicht böse, Monsieur?«

Aber nein. Nur daß ihm dieser nichtige kleine Zwischenfall den ganzen Tag verdarb. Beim Rasieren in dem noch kühlen Zimmer mußte er unwillkürlich daran denken, sah wieder das Lächeln des Garageninhabers vor sich, das nicht so offen und fröhlich war wie sein Lächeln am ersten Tag. Und warum hatte Mataia, als er hinausging, auf der Türschwelle so lange mit Monsieur Roy gesprochen? Als Owen vorhin seine Brieftasche geöffnet hatte, hatte er festgestellt, daß er fast blank war.



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