Die Diva by Michelle Marly
Autor:Michelle Marly
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau digital
veröffentlicht: 2020-01-08T16:00:00+00:00
Nach Mitternacht lichtete der Kapitän den Anker. Die Gäste aus Athen waren inzwischen mit einem Motorboot an Land gebracht worden, Sir Winston und Lady Clementine hatten sich zur Ruhe begeben, und Meneghini schlief in der Ithaka-Kabine, nachdem er dem Souper mit kalkweißem Gesicht und äußerst schweigsam beigewohnt hatte. Bei den anderen Gästen an Bord hallte der Zauber dieses besonderen Abends jedoch noch nach. Es war eine laue, windstille und klare Nacht, der Mond schien auf der ruhigen See zu schwimmen, und die Fontänen am Swimmingpool spritzten bunte Kaskaden in den Himmel.
Nonie Montague Browne suchte in dem Kofferradio, das irgendwer nach achtern hochgebracht hatte, nach Musik.
Als ein sinfonisches Orchester mit den unverwechselbaren ersten Tönen von Tschaikowskys »Pathétique« erklang, schlug Maria die Hände zusammen. »O bitte, suchen Sie doch amüsantere Musik.« Bevor Nonie etwas erwidern konnte, fügte sie rasch hinzu: »Ich meine damit keine Opern.«
»Mögen Sie wenigstens Jazz?«, erkundigte sich die Engländerin leicht genervt.
»Allerdings. Sehr sogar.«
Sie wartete jedoch nicht neben dem Rundfunkgerät ab, ob Nonie fand, was sie wünschte. Achselzuckend quittierte Maria das Knarren, Zischen und Quietschen, das aus dem Lautsprecher drang. Sie wandte sich ab und machte einen Schritt auf Onassis zu, der allein an der Reling stand und versonnen auf die Ruine sah, die sich immer weiter entfernte. Einer Eingebung folgend öffnete sie das Seidentäschchen an ihrem Arm. Mit ihrer freien Hand zog sie ihre Brille heraus und setzte sie auf. Dann sah sie sich nach Tina um. Doch genau genommen hatte sie schon zuvor bemerkt, dass die Gastgeberin verschwunden war. Dafür bedurften ihre kurzsichtigen Augen keinerlei Sehhilfe. Tinas offensichtliches Desinteresse an Aris Freunden war bemerkenswert, zeigte sie doch das absolute Gegenteil seiner manchmal fast übertriebenen Fürsorglichkeit als Gastgeber.
»Wussten Sie, dass Lord Byron seinen Namen in eine der Säulen geritzt hat?«, fragte Onassis nach einem kurzen Seitenblick über die Schulter.
Die Brille wieder in ihrer Tasche verstauend, trat sie neben ihn. »Ich weiß nur, dass er sich sehr für die griechische Unabhängigkeit im 19. Jahrhundert eingesetzt hat. In meiner Jugend feierte man ihn als Nationalhelden.«
»Daran hat sich nichts geändert«, erwiderte Aristo. »Lord Byron war ein Liebender, der die Frauen zwar wertschätzte, dessen größte Liebe aber wohl dieses Land war.« Er legte eine Kunstpause ein, in der er seinen Kopf zu ihr drehte. »Ich möchte an dieser Stelle allerdings eher Homer zitieren.«
Sie lächelte. »Ich habe schon darauf gewartet, dass Ihnen etwas zur Mythologie einfällt.«
Im Hintergrund erklang ein Rauschen, dann ertönte Frank Sinatras einschmeichelnde Stimme, die »I’ve Got You Under My Skin« sang. »Gefällt Ihnen das?«, rief Nonie ein wenig provokant in ein Trompetensolo hinein.
»Wunderbar«, antwortete Aristo an Marias Stelle.
»Danke«, sagte sie leise. »Ich höre abseits der Bühne nicht besonders gern die sogenannte Ernste Musik. Diese Musik bedeutet mir als Kunst alles, aber als Privatmensch höre ich vor allem die leichte Muse. Ich mag Swing, Jazz, manchmal auch Volksmusik.«
»Ich liebe es, mit den Fischern in einer ganz gewöhnlichen Taverne zu feiern, zu trinken und zu tanzen. Mögen Sie Ouzo?«
Sie verzog das Gesicht. »Nicht unbedingt, aber wenn es sein muss, trinke ich auch Ouzo.«
»Ich habe beobachtet, dass Sie sehr wenig Alkohol trinken.
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