Die Dienstagsfrauen by Monika Peetz

Die Dienstagsfrauen by Monika Peetz

Autor:Monika Peetz [Peetz, Monika]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch
veröffentlicht: 2011-01-18T23:00:00+00:00


[Menü]

39

»Ich habe eine Schweigepflicht. Das weißt du doch«, tönte Philipps Stimme verärgert aus dem Hörer. Caroline konnte es nicht fassen. Tausendmal hatte sie das Argument im Berufsleben gehört. Von Ärzten, die sie zu einer Aussage bewegen wollte, von gegnerischen Anwälten, von Priestern. Aber nicht von ihrem eigenen Mann. Endlich hatte sie Philipp erreicht, und jetzt berief er sich auf die gesetzliche Geheimhaltungspflicht.

»Das ist nicht dein Ernst«, empörte sich Caroline.

»Das war ein Witz«, schwächte Philipp ab. »Ich kann dir nichts erzählen, weil ich nichts weiß.«

Seine Ausflucht klang wie eine glatte Lüge. Wenn Philipp taktierte und manövrierte, tat er es schlecht. Das Gespräch mit Philipp entwickelte sich zum Desaster.

»Philipp. Tu nicht so. Sonst erzählst du auch von Patienten.«

Der Umgang mit der Schweigepflicht wurde am Abendbrottisch nie allzu streng gesehen. Manchmal musste man reden, obwohl es gegen jede Regel war. Vor allem am Anfang ihrer Karriere brauchte Caroline jemanden, mit dem sie die Geschehnisse des Tages teilen konnte. Sie redete, als sie zum ersten Mal mit Leichenfotos konfrontiert war und sich heimlich übergeben musste, sie redete, als ein Klient mit dem Messer auf sie losging, sie redete, als sie zur Pflichtverteidigerin im Fall Nele Bauer berufen wurde. Nele war zwei. Genauso alt wie Josephine damals. Und sie war tot. Polizeibeamte hatten das Mädchen in seinem Gitterbett gefunden. Getötet durch acht Messerstiche. Neles Mutter Stefanie hatte selbst die Polizei gerufen. Obwohl sie einen Überfall meldete, war sie von der allerersten Sekunde an die Haupttatverdächtige. Caroline glaubte nicht an die Version vom großen Unbekannten, der sich als Pizzabote getarnt Zugang zu der Wohnung verschafft und unvermittelt auf das kleine Mädchen eingestochen haben sollte. Stefanie verwies unter Tränen auf die Drogenkarriere des Exfreundes und aggressive Gläubiger, die ihr gedroht hatten. Keiner der Polizisten glaubte an die Unschuld der Frau. Und dementsprechend benahmen sie sich bei der Spurensicherung.

Im Prozess bewies Caroline Schritt für Schritt, dass die Beweise unrechtmäßig erlangt, manipuliert und hingebogen waren. Es war ein Freispruch zweiter Klasse, »aus Mangeln an Beweisen«, und Caroline wurde zur Zielscheibe übelster Presseartikel. Sie tat sich schwer zu erklären, dass die Beweisbarkeit einer Straftat die Archillesferse einer demokratischen Rechtsordnung war. Es fiel ihr schwer, weil Nele Bauer sie in tiefe Zweifel stürzte, ob sie auf der richtigen Seite des Rechts stand. Als sie nach Hause kam und Josephine ihre Ärmchen um sie schlang, brach sie in Tränen aus.

Jeder Strafverteidiger kennt diesen Moment, in dem man zum ersten Mal jemandem zur Freiheit verhilft, den man privat für schuldig hält. Stefanie Bauer markierte ihr erstes Mal. Ohne Philipp wäre sie verrückt geworden. Wie hätte er ihre Verzweiflung verstehen können, wenn sie nicht erzählt hätte: von Neles Verletzungen, von dem mageren Körper und davon, wie emotionslos Stefanie wirkte, wenn sie über die Tochter sprach. Philipp trug das Verfahren mit. Er hatte alle Zeit dafür, denn der erste negative Artikel, der sich mit Caroline beschäftigte und der Frage, ob man ein Monster verteidigen dürfe, fegte sein Wartezimmer leer.

Der ungesühnte Mordfall Nele Bauer blieb eine offene Wunde in ihrer Biografie. Ihre eigenen Kinder waren erwachsen und gingen beruflich eigene Wege.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.