Die Deutschen sind an allem schuld (B00IUP0EKI) by Nikos Dimou
Autor:Nikos Dimou [Dimou, Nikos]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783888979613
Herausgeber: Verlag Antje Kunstmann GmbH
veröffentlicht: 2014-02-26T05:00:00+00:00
Die Sonne ging unter. Elaine nahm einen großen Schluck Ouzo und bemerkte:
– Wie verträgt sich deine Theorie mit der Tatsache, dass Griechen sehr passive Bürger sind? Jeder kümmert sich vor allem um seine eigenen Interessen, er will es sich gut gehen lassen und ist nicht gewillt, irgendetwas dem öffentlichen Wohl zu opfern (außer es ist Krieg). Er glaubt, dass Gesetze und Regeln für die anderen gemacht sind, dass Steuern von den anderen bezahlt werden sollten. Nach deiner Erklärung hat er seine gesamte Verantwortung als Staatsbürger auf einige rituelle Akte übertragen. Von denen Wahlen dann der wichtigste sind.
– Jawohl. Er erwartet immer eine Lösung von oben.
– Die alte Devise des Euripides: Deus ex machina –oder, in der Sprache deiner Ahnen, apo mechanes theos. Soviel ich weiß, fühlt sich ein Grieche niemals verantwortlich für das, was seinem Land widerfährt (es sind immer »ausländische Mächte«, die sich verschwören und sein Schicksal diktieren). In derselben Weise akzeptiert er niemals seine eigene Verantwortung für alltägliche Ereignisse (»soll ich etwa derjenige sein, der das Romaiko reformiert?«, ist eine sehr verbreitete griechische Redensart). Er erwartet, dass Parteien und Politiker die Probleme auf magische Art (und ohne sein Zutun) lösen. Er gibt seine Stimme in feierlicher Stimmung ab – und lebt anschließend sein schönes Leben weiter. Sollte etwas danebengehen, läuft er zu seinem Politiker und wettert: »Wir haben dich doch gewählt!«, als ob das alles sei, was man von ihm an bürgerlicher Pflichterfüllung erwarten kann.
– Also siehst du griechische Wahlen gewissermaßen als eine Art Voodoo-Zeremonie…
– Oder ein Regenmacher-Ritual. Gut, ich folge nur deinem Beispiel. Ich bin mir nicht sicher. Von dem Moment an, in dem ich anfing, über die Frage nachzudenken, wurde ich immer verwirrter. Ich kann keine zufriedenstellende Antwort auf diese Antinomie finden: a) dass die Griechen einen solchen Wirbel um die Wahlen machen, und b), wie du treffend sagtest, dass sie ihren Politikern nicht wirklich vertrauen und auch nicht viel von ihnen erwarten. Diese zwei Fakten widersprechen einander, sie sind beinahe ein Widerspruch in sich.
– Arme Elaine, du mit deinem westlichen rationalen Denken! Ist das der erste Widerspruch, den du bei den Griechen entdeckst?
– Nein – und genau genommen ist das einer der Gründe, weshalb ich sie so liebenswert finde.
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