Die Charité by Fischer Ernst Peter
Autor:Fischer, Ernst Peter [Fischer, Ernst Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-05-18T16:00:00+00:00
Das Ende der Zwanzigerjahre
Bevor wir uns dem »Dritten Reich« und seinen bis heute nachwirkenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuwenden, sei noch ein letzter Blick auf die Goldenen Zwanzigerjahre gestattet, die auch einige erfreuliche Entwicklungen in Bezug auf die Charité zu verzeichnen haben. So wurde 1923 ein Institut für Medizinische Kinematographie eröffnet, das Lehrfilme zunächst vor allem für den chirurgischen Unterricht anfertigte und die Universitäten des Landes mit ihnen versorgte. Über einem Operationstisch wurden elektrisch gesteuerte Kameras angebracht, mit denen unter aseptischen Bedingungen Groß- und Nahaufnahmen möglich waren, die sich in einen Nebenraum übertragen ließen, in dem sich die Studenten aufhielten. Bis zu den Dreißigerjahren konnte sehr umfangreiches Material produziert werden, das sich raschen Entwicklungen von Kinotechniken verdankte, zu denen auch die Einführung des 16-mm-Films gehörte, den es seit 1923 gab.
Einige Fakultätsmitglieder waren jedoch nicht erfreut über diese Innovation, sie vertraten die Ansicht, dass die Ausbildung der Ärzte mehr auf die Bekämpfung des Kurpfuschertums ausgerichtet sein sollte, das sich gerne marktgerecht in Szene setzte, während wiederum andere sich allgemein »gegen die Anhäufung unendlichen Wissenskrams in den Köpfen der Studenten und deren grenzenlose Überlastung« beklagten, die nicht zuletzt in schlechten Leistungen während der Prüfungen zum Ausdruck kamen.8
Neben alten und neuen Fragen nach einer Verbesserung der medizinischen Ausbildung gab es auch ständig Sorgen wegen der Krankenbetreuung. Wie ein durchgehender Orgelton finden sich in den Protokollen der Zwanzigerjahre Klagen »über die viel zu geringe Zahl der Schwestern«, die nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch überfordert seien: »Die 157 Charité-Schwestern arbeiten täglich 9 und 10 Stunden und oft mehr«, wie die ärztliche Direktion dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im März 1923 pointiert schrieb, um anschließend deutlich Stellung zu beziehen durch den Hinweis, dass die Arbeitsumstände »eine ungerechtfertigte Ausnutzung der Kräfte der Schwestern« bedeute, da »die keine Überstunden bezahlt erhalten«.9
Darüber hinaus häuften sich Klagen über »nicht genügend zuverlässiges Pflegepersonal«. Die medizinische Leitung der Charité bat eindringlich »um die Genehmigung, sofort 30 neue Schwestern einstellen zu dürfen«, um eine Wiederholung des furchtbaren Vorfalls vom Mai 1923 zu verhindern, bei dem »nachts ein Kind gestorben ist, ohne dass die ungeübte Pflegerin es bemerkt hat«. Ob das Ministerium es daraufhin ermöglichte, in der Charité »eine sachgemäße Krankenpflege« anzubieten, ist den Akten nicht zu entnehmen. Stattdessen sorgte eine amtliche Verordnung dafür, »dass kein in der Charité Verstorbener der Sektion entzogen« wurde, was vor allem den umstrittenen Pathologen Otto Lubarsch freute, der dies als sein gutes Recht ansah, das es unter allen Umständen zu verteidigen galt.
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