Die Chance by Stewart O'Nan

Die Chance by Stewart O'Nan

Autor:Stewart O'Nan [O'Nan, Stewart]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644039315
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2014-05-06T22:00:00+00:00


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Wahrscheinlichkeit, dass eine Dreiundfünfzigjährige Großmutter wird:

1:3

Zum Abendessen tranken sie eine teure Flasche Cabernet, zum Dessert Irish Coffee, und danach waren sie so angesäuselt, dass sie für die wenigen Straßen zurück zum Hotel lieber ein Taxi nahmen, als auf dem vereisten Gehsteig womöglich auszurutschen und hinzufallen. Marion musste sich konzentrieren, um keinen Unsinn zu reden; und von der Anstrengung brannten ihre Augen. Durch die Scheibe sah sie die Sterne, über den Himmel verstreut wie bei einem Verbinde-die-Punkte-Bild, und sie fragte sich, was für eine geheime Botschaft sie ihr wohl übermitteln wollten. Im Mantel war ihr heiß, weshalb sie sich bemühte, ihre Arme daraus freizubekommen, als wäre es eine Zwangsjacke. Mit Arts Hilfe gelang es ihr schließlich, doch dabei traf sie ihn mit dem Ring an der Lippe. Sie lachte, entschuldigte sich, legte die Hand an sein Kinn und küsste ihn, um es wiedergutzumachen, und auf einmal waren sie da, unter dem Portikus, der weiß behandschuhte Hotelangestellte hielt ihr die Tür auf, half ihr heraus und sagte, sie solle beim Gehen vorsichtig sein.

Auf der Rolltreppe wankte sie, darum hielt sie sich an Arts Arm fest. Drinnen war alles hell erleuchtet, im Foyer klingelten Spielautomaten, und sie war erleichtert, als sich die Aufzugtür schloss und sie es nicht mehr hören musste. Sie lehnte sich an die Rückwand, spürte die Aufwärtsbewegung in den Beinen.

«Alles klar?», fragte er.

«Tutti paletti», sagte sie, Emmas Lieblingsspruch, und stellte sich ihre Tochter in der gemütlichen Wohnung in Boston vor, das ruhige Einsiedlerleben, um das Marion sie manchmal beneidete, auch wenn sie von ihrer Facebook-Seite wusste, dass Mark mit ihr essen und tanzen ging. Das ist jedenfalls besser, dachte Marion. Als sie selbst noch Single gewesen war, waren sie und ihre Freundinnen am Wochenende immer durch die Discos gezogen und erst bei Tagesanbruch mit einem halben Dutzend Stempeln auf den Handrücken nach Hause gekommen. Wann hatte sie zum letzten Mal richtig einen draufgemacht? Sie hatte es satt, zu Hause Trübsal zu blasen und auf den nächsten Schicksalsschlag zu warten. Vielleicht hatte Art ja recht – wozu noch die ganze Maskerade? Wenn sie schon vor die Hunde gingen, dann wenigstens mit Stil.

Sie hatten kaum genug Zeit, um auf die Toilette zu gehen und sich umzuziehen. Wie immer rief ihr der Spiegel ins Gedächtnis, dass sie nicht mehr die Jüngste war. Schon seit über zehn Jahren war sie bei keinem Rockkonzert mehr gewesen. Aus Mangel an etwas Aufreizenderem hatte sie ihre beste Abendgarderobe mitgebracht, eine schlankmachende schwarze Hose und ein auffälliges silbernes Oberteil, doch nachdem sie Nancy Wilson gesehen hatte, fühlte sie sich großmütterlich und gehemmt.

«Ich kann diese Sachen nicht ausstehen», sagte sie, «aber ich hab nun mal nichts anderes. Tut mir leid: Du kriegst genau das, was du siehst.»

«Sieht doch gut aus.» Er hatte bloß das Hemd gewechselt und trug jetzt statt des weißen ein kornblumenblaues. So hätte er auch zur Arbeit gehen können.

«Was für zwei alte Säcke», sagte sie.

«Auf der Bühne werden garantiert Leute stehen, die noch älter sind als wir.»

«Was für ein Grund zur Freude. Nicht mein Ernst. War nur Spaß, nur Spaß, nurspaß, nurspaß.



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