Die Augenblicke des Herrn Faustini by Wolfgang Hermann
Autor:Wolfgang Hermann [Hermann, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: HAYMON
veröffentlicht: 2015-05-05T16:00:00+00:00
8
Am nächsten Morgen saß Emil mit feuerrotem Kopf, als wäre er nun selbst zum Radfahrer geworden, am Frühstückstisch und verzehrte Wurst und Käse und Ei und Marmelade mit Heißhunger. Ihm schien nichts auf den Magen zu schlagen. Herr Faustini dagegen saß blass und geräuschempfindlich neben Emil.
Heute muss ich nach Neustadt, meinte Emil. Zuerst ins Eisenbahnmuseum. Dann ab mit dem Kuckucksbähnel ins Elmsteiner Tal. Mit Dampf, versteht sich. Der Name soll daher stammen, dass die Bahn dorthin führt, wo nur noch der Kuckuck schreit. Auf dreizehn Kilometern in den Pfälzer Wald. Vorbei an der Tuchmacherstadt Lambrecht und der Spangenburg und einer Burgruine nach der anderen. Das steht heute auf dem Programm. Deswegen hat’s mich hierher verschlagen. Wegen dem Kuckucksbähnel.
Ist dir übrigens schon aufgefallen, dass die Pfälzer entweder die ersten sechs Zähne in einer Linie nebeneinander stehen haben, das sind die Breitgesichter. Oder sie haben nur die beiden Vorderzähne in einer Linie, danach geht es radikal nach innen. Das sind die Schmalgesichter.
Herr Faustini probierte mit der Zunge an seinen Vorderzähnen herum, um herauszubekommen, ob er ein Breitgesicht oder ein Schmalgesicht war.
Und dann finde ich, dafür, dass die meisten hier klein und stämmig sind, fahren sie sehr große Autos, sagte Emil. Kleine Männer in großen Autos, das hat leicht etwas Lächerliches. Findest du nicht auch? Während große Männer in kleinen Autos allzu bescheiden wirken. Wenn sie zu groß sind im Vergleich zu ihrem Auto, dann ist es auch eher lächerlich. Während kleine Frauen in großen Autos ziemlich sexy wirken, meinst du nicht? Emil ließ das Wort sexy auf seiner Zunge zergehen. Herr Faustini hörte ein solches Wort aus Emils Munde zum ersten Mal. Sollte er ganz unbekannte Seiten haben, die er nun mit einem Mal bloßlegte? Geländewagen, meinte Emil noch, wirken bei den allermeisten Menschen vulgär, findest du nicht auch? Manchen Frauen stehen Geländewagen allerdings wirklich gut. Dabei zeigte Emil einen Blick, den seine Mutter möglicherweise nie bei ihm gesehen hatte.
Herr Faustini begleitete Emil bis vors Eisenbahnmuseum in Neustadt. Das Kuckucksbähnel fuhr erst in einer Stunde, bis dahin würde Emil das Museum besichtigen. Er konnte nicht verstehen, dass Herr Faustini seine Leidenschaft für Kleinbahnen nicht teilte. Herr Faustini wollte ihm nicht sagen, dass er nicht daran glaube, dass in der Welt der Kleinbahnen die Welt fließe.
Emil verabschiedete sich mit einem Griff an seine Schirmmütze und verschwand im Eisenbahnmuseum.
Auf dem Bahnhofsplatz verspürte Herr Faustini das Verlangen, sich auf eine Bank zu setzen und die Welt vorüberziehen zu lassen. Doch es war nirgends eine Sitzbank zu entdecken. Bestimmt hatte es hier früher Bänke gegeben, aber jemand hatte beschlossen, sie zu entfernen, um den Obdachlosen keine Aufenthaltsmöglichkeit zu bieten. Zugegeben, meist waren die Bänke an den Bahnhöfen von Obdachlosen und anderen Sehnsüchtigen besetzt, die auf einen Zug warteten, der niemals ankommen würde. Jetzt aber wäre Herr Faustini gerne einfach nur vor dem Bahnhof gesessen und hätte die Welt vorüberziehen lassen.
Da war sie auch schon, die Welt. Auf dem Gehsteig löste sich die Silhouette der Anmut. Ja, es war die Anmut selbst in Gestalt einer feingliedrigen Frau. Noch nie hatte Herr Faustini eine Frau so gehen sehen.
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