Die Auferstehung by Karl-Heinz Ott

Autor:Karl-Heinz Ott [Ott, Karl-Heinz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446250079
Herausgeber: Carl Hanser Verlag München 2015
veröffentlicht: 2015-08-24T16:00:00+00:00

Weil Linda und Fred heute Morgen vergeblich das Haus nach Ordnern, Mappen, Akten und allem durchsucht haben, was nach persönlichen oder geschäftlichen Unterlagen aussah, wollten sie, nachdem endlich alle eingetroffen und eine kleine Weile stumm um den Toten herumgestanden waren, vom Keller bis zum Speicher erneut jeden Winkel durchstöbern. Neben Sparbüchern aus den sechziger Jahren, in denen die Ein- und Auszahlungen noch fein säuberlich mit Handschrift eingetragen worden waren, hatten sie allerlei Versicherungsunterlagen und ein Dutzend Leitzordner mit Maler-, Glaser-, Schreiner-, Tapezierer-, Möbel- und Heizölrechnungen entdeckt, ein Testament oder etwaige Schenkungsdokumente ließen sich aber nirgends finden. Deshalb begab man sich noch einmal wie ein kriminalistischer Suchtrupp in den Keller, wo rein gar keine Unterlagen herumlagen, und anschließend auf den Speicher, wo in den Schubladen wurmstichiger Schränke und Kommoden allerlei Krimskrams steckte, meist heillos durcheinander, als sei dort nach Mutters Tod alles nur Erdenkliche hineingestopft worden, von Tüten mit rissig gewordenen Gummis über Plastik- und Holzlineale aus der Schulzeit bis zu Zirkelkästen und Essiggläsern voller Murmeln, ebenso Schachteln mit Fotos, die nie in Alben geklebt wurden, alle völlig ungeordnet, die kleine Linda in weißen Kniestrümpfen, buntem Sommerröckchen und mit Zöpfen, die Jungs in ärmellosen Pullundern oder mit gestrickten Pudelmützen, Bilder vom Garten und vom Weihnachtsbaum, an der Donau, in Arona, Papa an den Citroën gelehnt, in beiger Cordhose und mit Rollkragenpulli, Joschi, bereits ein wenig feist, im zu engen Kommunionsanzug vor der Kirche, ernst dreinblickend, die hohe, schlanke Kerze in der Hand, auch spätere Fotos, Uli und Franziska, vermutlich gerade frisch miteinander zusammen, in hippigem Indienlook, als könnte man das Patchouli regelrecht riechen, mit Fransenumhängen in allen Farben, auch ein Bild mit Uli im Schneidersitz und Kippe im Mund, halb hinter ihm in der Hocke Franziska mit Muschelhalskette, einen Arm um ihn geschlungen, das schwarze Haar bis zum Boden, ein Paar, das es bei allem Ausgeflippten geschafft hat, seit über dreißig Jahren zusammen zu sein, was jedem Katholiken Ehre machen würde, nur dass es bei diesen beiden ohne Gelöbnisse ging und sie von Krisen verschont blieben, obwohl sie immer viel von Freiheit geredet haben und davon, dass jeder sein Leben selbst bestimmen soll, weshalb Uli bis heute Thoreau verehrt, wovon sogar eines der Bilder zeugte, das sie vorhin entdeckt hatten und das ihn mit Jakob am Walden Pond zeigt, beide in lotterigen Unterhosen, weil sie vergessen hatten, ihre Badesachen mitzunehmen, beide auch noch mit langen Haaren und jungenhaften Unschuldsgesichtern, obwohl Uli damals bald Mitte und Jakob bereits gegen Ende zwanzig gewesen sein muss.

Auch eine gusseiserne Nähmaschine mit Tretpedal steht dort oben, bei der nur der Antriebsriemen fehlt, nebst einem Teppichklopfer und einem antiken Bügelbrett, zudem ein Nähkästchen, in dem sich Knöpfe, Nadelkissen, ein Stopfei und Garnreste befinden, als sei’s ein Kosmos für sich, der in seiner Zwergenhaftigkeit etwas Emsiges ausstrahlt und zur Kindheit gehört wie das von Mama allmorgendlich geschmierte Pausenbrot und die großen Keksdosen, die dort noch herumstehen und in denen die Weihnachtsplätzchen gelagert wurden, Zimtsterne, Bubenspitzle, Bärentatzen, Springerle. In den Kommoden stapeln sich, fein säuberlich gebügelt und gefaltet, haufenweise Bettwäsche und Tischdecken, aber auch Nylonstrümpfe, Büstenhalter, Mieder und sogar ein Korsett.

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