Die Araber by Halm Heinz
Autor:Halm, Heinz [Halm, Heinz]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406682858
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2015-09-02T16:00:00+00:00
IV. Die arabische Welt von 1500 bis 1800
Weit verbreitet ist die Auffassung, für die arabische Welt wie für die islamische insgesamt sei in der Frühen Neuzeit oder auch schon im späten Mittelalter ein Bruch der Entwicklung zu konstatieren, der mit Begriffen wie «Stagnation» oder «Niedergang» beschrieben wird: Die Muslime hätten bestimmte Entwicklungen, die die Geschichte Europas prägten – die Reformation, später die Aufklärung, die Französische Revolution sowie die Industrielle Revolution –, «versäumt» und seien daher hinter dem Westen «zurückgeblieben»; dadurch seien sie dem kolonialen Zugriff der Europäer wehrlos ausgeliefert gewesen und von der Moderne überrascht worden, auf die sie daher bis heute unsicher oder mit gewaltsamer Abwehr reagierten. Als mögliche oder vermeintliche Ursache für «Niedergang und Stagnation» werden verschiedene Sachverhalte angeführt wie die Erstarrung der religiösen Doktrinen des sunnitischen Islam im späten Mittelalter, die Entdeckung Amerikas und des Seeweges nach Indien durch die Europäer und die damit verbundene Verlagerung der Welthandelswege, das Fehlen von kommunaler Selbstverwaltung und -verantwortung in den orientalischen Städten oder Ähnliches.
Die historische Forschung hat in einer Reihe von Spezialuntersuchungen gezeigt, dass zumindest die These vom allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang zu modifizieren ist. Das Osmanische Reich ist im 16. Jahrhundert ein expandierender, straff organisierter Zentralstaat, der zahlreiche Grenzen beseitigt und damit einen Wirtschaftsraum geschaffen und Handelswege geöffnet hat, für deren Sicherheit zu sorgen er durchaus imstande war. Die Verlagerung des Gewürz-Transithandels auf die europäisch kontrollierte Route um das Kap der Guten Hoffnung konnte durch den Kaffeehandel über das Rote Meer kompensiert werden, der insbesondere Ägypten einen wirtschaftlichen Boom bescherte, und auch die Seidenproduktion der Levante blieb lange Zeit durchaus konkurrenzfähig.
Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass das Zeitalter der Entdeckungsreisen eine Epoche beispielloser europäischer Dominanz in der ganzen Welt einleitete. Nach und nach ist fast die gesamte islamische Welt unter politische, militärische oder wirtschaftliche Kontrolle der europäischen Mächte gekommen. Allerdings ereilte dieses Schicksal nicht nur die islamische Welt; es traf auch den Indischen Subkontinent, Südost- und Ostasien, von den beiden Amerika ganz zu schweigen. Den Islam wird man also wohl kaum dafür verantwortlich machen können. Erklärungsbedürftig wäre eher die unerhörte Dynamik, mit der sich die Europäer den Globus zu unterwerfen anschickten; dafür gibt es bis heute keine allgemein anerkannte, schlüssige Erklärung.
Die Kreuzzüge können durchaus als Vorspiel zu dieser Entwicklung angesehen werden; in ihnen hat Westeuropa erstmals versucht, einen Teil seiner demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme außerhalb Europas zu lösen, und die aufstrebenden Handelskommunen wie Pisa, Venedig und Genua mit ihrer dynamischen bürgerlichen Kaufmannselite sind sicher nicht zufällig Motor und Nutznießer der «bewaffneten Pilgerfahrten» ins Heilige Land gewesen. Mit den Entdeckungsreisen begann auch die Expansion der daran beteiligten europäischen Mächte nach Nordafrika und Asien: Schon 1415 hatten die Portugiesen Ceuta und 1471 Tanger besetzt; nach der Einnahme von Granada 1492 strebte auch Spanien nach der Kontrolle der nordafrikanischen Gegenküste. Doch in dem aufstrebenden Osmanenreich fand die spanische Monarchie einen durchaus ebenbürtigen Gegner.
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