Die Akte Nr. 113 by Émile Gaboriau

Die Akte Nr. 113 by Émile Gaboriau

Autor:Émile Gaboriau [Gaboriau, Émile]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: MobileRead
veröffentlicht: 2009-04-18T14:35:46+00:00


12. Kapitel

Valentine wußte, daß Gaston nach Tarascon gegangen war und um elf Uhr nachts über die Brücke zu ihr kommen wollte, sie hatte sogar versprochen, ihm ein Stück des Weges an der Rhone entgegenzugehen.

Plötzlich gewahrte sie, als sie zufällig gegen Clameran hinüberblickte, an den Fenstern wandernde Lichter. Das beunruhigte sie, was mochte drüben geschehen sein? Angsterfüllt starrte sie hinüber. Sie lehnte an ihrem Fenster und horchte hinaus, aber nur das Rauschen und Brausen des Stromes drang an ihr Ohr. Ihre Angst steigerte sich von Minute zu Minute, aber wie ward ihr, als sie plötzlich das bekannte Zeichen erblickte, das ihr Kunde brachte, daß der Geliebte über die Rhone schwimmen wollte. Sie war starr vor Entsetzen und wollte ihren Augen nicht trauen, endlich, nachdem das Zeichen drüben dreimal gegeben worden, antwortete sie, ihrer Sinne kaum mächtig, darauf.

Was bedeutete das?

Sie eilte in den Park, ans Ufer, kaum trugen sie ihre Füße. Neues Entsetzen bemächtigte sich ihrer, als sie am Ufer stand und die wild tosende Flut sah. Und Gaston konnte auch nur einen Augenblick daran denken, durchzuschwimmen? Etwas Fürchterliches, Unausdenkbares mußte geschehen sein!

Sie war ans Ufer niedergesunken und starrte durch die Dunkelheit hinab ins Wasser; bei jedem schwarzen Punkt glaubte sie seinen Leichnam herangeschwemmt zu sehen und durch das Tosen und Branden vermeinte sie Hilferufe zu hören.

***

Gaston war sich, als er sich kopfüber in den Strom gestürzt, der Gefahr wohl bewußt, allein er kannte das feuchte Element und wußte, daß er eher dort, als bei den Menschen Erbarmen finden konnte. Zuerst hatte ihn der Strudel erfaßt und wirbelnd in die Tiefe gerissen, aber er kam wieder an die Oberfläche empor und nun ließ er sich, um seine Kräfte zu sparen, von der Strömung treiben, er war nur bemüht, gegen das jenseitige Ufer zuzusteuern; dies durfte nur ganz langsam und allmählich geschehen, denn er wäre verloren gewesen, wenn ihn die Strömung von der Seite erfaßt hätte. Er rechnete auf einen Strudel, der sich in einer Biegung des Flusses unterhalb Clameran befand, und er täuschte sich nicht, die Strömung trieb ihn in schräger Richtung dein jenseitigen Ufer zu. Leider aber trug ihn die Welle nicht bis ans Ufer, sondern riß ihn mit ungeheuerer Geschwindigkeit am Park von Laverberie vorüber.

Trotz der rasenden Schnelligkeit hatte er doch die weiße Gestalt Valentines unter den Bäumen erblickt.

Erst viel weiter unten gelang es ihm, dem Ufer näher zu kommen. Zweimal versuchte er, Fuß zu fassen und zweimal rissen ihn die Wasser zurück. Da ergriff er, ehe eine neue Strömung ihn erfaßte, einen überhängenden Weidenzweig und nun endlich gelang es ihm, sich ans Land zu schwingen – er war gerettet.

Ohne sich auch nur einen Augenblick Zeit zum Aufatmen zu gönnen, eilte er, was ihn die Füße nur tragen konnten, zurück, dem Parke zu.

Endlich war er da! Und es war die höchste Zeit, denn Valentine hatte vor Aufregung und Todesangst die Besinnung verloren.

Gaston fand sie ohnmächtig am Boden liegen, er hob sie in seinen Armen empor und bedeckte ihr bleiches Gesicht mit Küssen. Da schlug sie die Augen auf.

»Gaston, bist du es?« rief sie mit ausbrechendem Gefühl.



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