Deutschland im Schuldensog by Paul Kirchhof
Autor:Paul Kirchhof [Kirchhof, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406643545
Herausgeber: C.H. Beck
veröffentlicht: 2015-08-25T16:00:00+00:00
2. Die Souveränität des Staates
Ein souveräner Staat kann weder zu einer Zahlung noch in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden. Diese Souveränität ist allerdings stets auf Frieden und Völkerrecht angelegt, zur Verfassungsbindung bereit und in Europa für eine europäische Integration offen. Sie anerkennt eine Schutzverantwortung des Völkerrechts bei elementaren Menschenrechten auch gegenüber Staaten,680 schließt eine militärische Menschenrechtsintervention nicht gänzlich aus.681 Diese Souveränität meint die Letztverantwortung eines kooperationsoffenen Staates für seine Bürger. Die Finanzverfassung geht davon aus, dass der Finanzstaat wegen der Knappheit des Geldes „immer ein wenig in der Nähe des Ausnahmezustandes“682 steht, der finanzverfassungsrechtliche Rahmen für Staatshaushalt, Haushalts- und Finanzkontrolle, Rechnungslegung und Entlastung, Jährlichkeitsprinzip und Schuldengrenze den Staat jedoch befähigt, seine Einnahmen und Ausgaben grundsätzlich ohne neue Kredite auszugleichen.683 Der Staat ist nicht auf Liquidierbarkeit und Untergang, sondern auf Fortexistenz angelegt. Die Vereinten Nationen bauen auf den Grundsatz „der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“.684 Die äußere Souveränität bedeutet, dass der Staat keinem fremden Willen unterworfen ist, er bei der Setzung, Anwendung und Durchsetzung des Rechts nicht fremdbestimmt ist.685 Die innere Selbstbestimmung berechtigt das Staatsvolk, frei und ohne Einmischung von außen über seinen politischen Status zu entscheiden und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung frei zu gestalten.686 Eine Zwangsvollstreckung von außen gegen den Staat ist danach nicht möglich. Die Abwicklung finanzstaatlicher Leistungsschwäche zielt nicht auf Insolvenz, sondern auf Resolvenz.687 Während in der Insolvenzordnung die Sanierung des Schuldners ein nachrangiges Ziel ist,688 wird diese bei der Staatsresolvenz zum vorrangigen Ziel.
Das völkerrechtliche Konzept der Souveränität stellt jeden Staat finanzwirtschaftlich grundsätzlich auf sich selbst. Das Völkerrecht macht dem Staat keine Vorgaben für die Haushaltsführung und sein Finanzgebaren, sieht andererseits internationale Finanzhilfen allenfalls situationsabhängig und freiwillig vor.689 Eine Solidaritätspflicht, die zur tätigen Hilfe für finanzschwache Staaten verpflichtete, gibt es bisher nicht, ebenso kein völkerrechtliches Kooperationsgebot bei finanziellen Krisen. Selbst ein völkerrechtliches Gebot, auf den anderen Staat bei ökonomischer Schwäche Rücksicht zu nehmen, gar ein Anspruch des notleidenden Staates, ein anderer Staat habe finanzielle Hilfe zu leisten, hat sich bisher nicht entwickelt.690 Die Souveränität des Staates wehrt eine herkömmliche „Insolvenzverwaltung“ ab, die den demokratisch gewählten Repräsentanten des Staatsvolkes in seinen Handlungsaufträgen und Gestaltungsbefugnissen behindert oder verdrängt.691 Auch der institutionelle Rahmen für eine Abwicklung finanzstaatlicher Leistungsschwäche ist durch die Staatensouveränität vorgezeichnet. Das Gewaltverbot und die Grundsätze der Staatenimmunität schließen die Anwendung von Gewalt zur Eintreibung von Außenständen grundsätzlich aus. Das im 19. Jahrhundert noch zur Durchsetzung von Forderungen gegen den Staat verfügbare Instrumentarium der Gewalt – eine „Kanonenbootpolitik“ – ist völkerrechtlich verboten.692
Der finanziell notleidende Staat bleibt somit völkerrechtlich – und militärisch – handlungsfähig. Das völkerrechtliche Gewaltverbot verhindert den Zugriff von außen auf Vermögensgegenstände in seinem Hoheitsbereich. Eine Zwangsvollstreckung bemisst sich nach nationalem Vollstreckungsrecht. Der Staat entscheidet kraft seiner Souveränität weitgehend – aufgrund des Territorialitätsprinzips und der nach dem Kollisionsrecht seinem Recht unterfallenden Vertragsrechtsbeziehungen – selbst über Art und Maß, wie seine Schulden abgewickelt werden. Das Gebot, zwischen Vertragstreue und Gewaltverbot auszugleichen,693 weist auf den Weg der vertraglichen Verständigung über die notwendigen Abwicklungsmaßnahmen. Diese Souveränität gilt erst recht, wenn ein Staat zur Fremdhilfe gedrängt werden soll.
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