Deutscher des Jahres (German Edition) by Tonder Defkjell

Deutscher des Jahres (German Edition) by Tonder Defkjell

Autor:Tonder Defkjell [Defkjell, Tonder]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Trio-Verlag
veröffentlicht: 2014-10-18T00:00:00+00:00


KAPITEL NEUN

Ich bin wieder wach. Mir ist übel, mein Kopf dröhnt. Mein Gehirn hat keine Verbindung zu meinem Knöchel. Er scheint nicht zu schmerzen. Genau kann ich es aber nicht sagen.

Ich ziehe die Vorhänge zurück. Das Licht beißt in meine Augen. Heute wärmt die Sonne die Dächer, geschmolzenes Eis tropft von den Regenrinnen. Wenn das auf dem Bürgersteig wieder gefriert, dann kann das ganz schön gefährlich werden.

Ich muss meinen Mund spülen, den bitteren Belag loswerden. Und eine Dusche wird meinem Kreislauf gut tun.

Es ist schon spät als ich in den Speisesaal komme. Die anderen sind schon beim Frühstück, alle, auch die Abbrecher. Ich bin der Letzte. Die Sitzordnung spiegelt die gestrigen Ereignisse wieder. Es haben sich zwei Gruppen gebildet. Die Durchhalter sitzen zusammen und die Abbrecher auch. Da muss ich wohl zu den Durchhaltern, obwohl ich der Hamburgerin gerne noch gesagt hätte, dass sie zwar nervt, dass ich ihre Entscheidung trotzdem konsequent finde und sie respektiere. Was soll’s.

Der Reporter nickt mir zu. Ich werde heute einmal kein englisches Frühstück zu mir nehmen. Auf die Dauer ist das auch fad. Ich probiere das Müsli. Neben mir sitzt der Saarländer, er ist gut gelaunt, ihm schmeckt’s.

Das Müsli ist irgendwie staubig, ich werde vielleicht doch von den Eiern probieren. Vielleicht ein wenig Speck dazu, na ja, und ein Würstchen vielleicht.

Es ist sehr ruhig, nicht wie sonst. Heute fallen wir nicht als Gruppe auf. Das finde ich angenehm. Das ist meistens so, immer wenn’s vorbei ist, fängt es an, mir zu gefallen.

Der Reporter geht. Ob ich mitkommen soll?

Er hat mich nicht angesehen, ich denke, ich kann sitzen bleiben. Der Vorschlag des Chefredakteurs ist wohl unter den Tisch gefallen. Es ist nicht mehr die Rede davon. Keiner hat wohl Lust, irgendetwas zu unternehmen. Bis heute Abend ist frei, dann findet wie immer ein Treffen statt.

Der aus Dresden sitzt mir gegenüber und haut ganz schön rein.

Ich sehe ihn nur kurz an. Ich will ihn nicht ermuntern, mit seinen Mikrochips anzufangen. Ich liebe Computer nicht. Ich hasse sie auch nicht. Solange sie funktionieren, sind sie mir egal. Nur wenn sie sich weigern, ihren Dienst zu tun, dann hasse ich sie.

Wo doch gestern die Rede von Polen war, meint der Dresdner. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir davon gesprochen hätten, sage ich.

Na, ist ja auch egal, meint er. Er weiß auch nicht weshalb, aber ihm sind gerade Piroggen eingefallen. Ob ich die denn kenne, fragt er, köstlich, ein Gedicht.

Ich kenne sie nicht, gestehe ich. Ich habe aber schon davon gehört.

Mein Ablenkungsversuch mit den Pirogen, den karibischen Kanus, schlägt leider fehl. Ich versuche etwas anderes. Ich dachte die kleinen Teigtaschen kämen aus Russland, sage ich. Piroggen, da denke ich immer an Russland.

Vom Nachbartisch schaltet sich der Rügener ein. Das weiß man da ja nie genau. Gerhart Hauptmann ist ja auch im heutigen Polen geboren worden, in Bad Salzbrunn, dem heutigen Szcawno Zdrój. Damals gehörte das zu Deutschland, oder besser gesagt zu Preußen. Deutschland gab es damals ja nicht, jedenfalls nicht richtig, als Staat, meint er. Also müsste man von heute aus gesehen sagen, Hauptmann sei ein Pole, staatstechnisch betrachtet.



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