Deutsche Suite by Herbert Rosendorfer

Deutsche Suite by Herbert Rosendorfer

Autor:Herbert Rosendorfer [Rosendorfer, Herbert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 3257014937
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 1971-12-31T23:00:00+00:00


* * *

Um nicht aufzufallen, wie er sagte, zog sich Dr. h. c. Kofler bereits einige Tage vor dem ›Tag X‹ in die Berge zurück. Er arbeitete dort die Rede aus, die er vom Rathausbalkon aus halten wollte. Am Tag vor dem ›Tag X‹ – die Rede war schon fertig – traf er nochmals mit Schneemoser zusammen, der von ihm letzte Anweisungen erhielt. Danach besuchte Dr. h. c. Kofler privat und ebenfalls völlig unauffällig einen Bankier in dessen Villa am Chiemsee. Abends fuhr er dann in das vereinbarte Haus des Freundes in Perlach, wo ihn der Ruf des Königs erreichen sollte.

Der ›Tag X‹ brach an. Es war, wie schon gesagt, ein warmer, schöner Julitag. Es versteht sich, daß ein Mann wie Dr. h. c. Anton Joseph Kofler an so einem Tag – zunächst zur Untätigkeit verurteilt – vor Aufregung fast aus der Haut fahren mußte. Frühestens um zehn Uhr abends würde es soweit sein, sagte er zu seinem Freund, bis dahin wäre er wieder zurück, und fuhr an den Chiemsee. Gegen Mittag war er in Prien.

Die Baronin von Speckh hatte Dr. h. c. Kofler gestern den ganzen Nachmittag lang mit großen Augen angeschaut. Kofler wußte es nicht: die Baronin war stark kurzsichtig. Haftschalen hatte man noch nicht, eine Brille zu tragen, war die Baronin zu eitel. Mit eiserner Disziplin arbeitete sie dem Hang, die Augen unkleidsam zuzukneifen, entgegen, indem sie die Augen ständig absichtlich weit aufriß. Wenn jemand in ihrer Umgebung neu war, wie an jenem Nachmittag Dr. h. c. Kofler, konnte sie diesen, ohne es selber zu merken, stundenlang unverwandt – mit großen Augen – anschauen, weil sie ja sozusagen langsamer sah als Normalsichtige oder Brillenträger.

Dr. h. c. Kofler deutete die Blicke der Baronin ganz anders. Gerechterweise muß man sagen: jeder einigermaßen selbstsichere Mann hätte die Blicke so gedeutet wie Kofler. Aber nicht jeder hätte die Blicke der Frau für so selbstverständlich gehalten, wie es Kofler tat.

Die Baronin andererseits glaubte, als Kofler am Tag danach so unvermittelt und mit unzweideutigen Absichten vor ihr stand, daß der Blitz ihres Charmes ihn unwiderstehlich zu ihren Füßen gemäht habe, und war aufs äußerste geschmeichelt.

Die Frisur der Baronin hatte Kofler einen Anhaltspunkt dafür gegeben, wie er sie heimlich treffen könnte. Kofler hätte nicht wagen dürfen, einfach an der Haustür in Prien zu läuten. Mit Recht war er davon ausgegangen, daß nicht die Baronin selber, sondern ein Dienstbote öffnen würde. Aber er hatte die Frisur der Baronin gesehen: ein Kopf voll kunstvoll abstehender, neckischer roter Locken, sorgfältig nachgetönt, Locken, die jeden Tag des Friseurs bedurften. Kofler faßte deshalb an der Ecke zur Straße nach Prien mit Blick auf das Gartentor der Villa Posten und wartete.

Tatsächlich ging die Baronin jeden Tag zum Friseur, und zwar nicht zum preiswerten in Grabenstätt, sondern zum einzigen einigermaßen schicken Friseur in Prien. Der Baron hatte deswegen herzzerreißende Szenen gemacht. Es half nichts. Die Baronin war nicht davon abzubringen. Letzten Endes blieb dem Baron nichts anderes übrig, als heimlich zu dem schicken Friseur zu gehen, wo er wenigstens einen kleinen Rabatt heraushandelte, der ihm monatlich zurückgezahlt wurde.



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