Der zweite Reiter by Beer Alex

Der zweite Reiter by Beer Alex

Autor:Beer, Alex [Beer, Alex]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: d-Limes
veröffentlicht: 2017-02-16T09:17:57+00:00


25

Irgendetwas war an diesem Tag anders, besser ausgedrückt, Winters Großmutter war anders. Sie war um Welten freundlicher als bei Emmerichs letztem Besuch, machte keine abfälligen Bemerkungen über seinen desolaten Aufzug, schimpfte nicht über das Arbeiterproletariat, und als Winter sie darüber in Kenntnis setzte, dass Emmerich für ein paar Stunden ihr Ankleidezimmer okkupieren werde, quittierte sie das mit einem Achselzucken.

»Dass ihr mir schön die Finger von der Wurst lasst. Die will ich für das Abendessen aufsparen«, war alles, was sie sagte, bevor sie wieder verschwand.

Hier ist was faul, schoss es Emmerich unwillkürlich durch den Kopf, da er ihr Verhalten – im Gegensatz zu Winter – eher befremdlich als angenehm empfand. »Ist der Kaiser zurückgekommen oder irgendwas in der Richtung?«, fragte er.

Winter schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«

»Vielleicht sollten wir später mal in die Zeitung schauen und uns über die neusten politischen Entwicklungen informieren.« Emmerich nickte seinem Assistenten zu und schloss die Tür hinter sich – ein Stündchen Ruhe und Erholung war jetzt genau das Richtige. Das … und Heroin.

Er öffnete die unterste Schublade der Frisierkommode – und fand diese leer vor. Emmerich hätte schwören können, dass er die Fläschchen dort hineingelegt hatte. Mit einem Kopfschütteln zog er das Schubfach darüber auf, das ebenfalls leer war.

Er durchsuchte Lade für Lade, kramte sich durch Haarnadeln, Handspiegel und Puderquasten, aber seine Tabletten blieben verschwunden. Wo zum Teufel hatte er die Pillen versteckt? Er wusste, dass Erinnerungen trügerisch sein konnten, und die vergangenen Tage waren gelinde gesagt mehr als verwirrend gewesen. Da konnte es schon mal vorkommen, dass man etwas durcheinanderbrachte oder verlegte oder … Ihm kam eine Idee, und er ging hinaus auf den Flur.

»Ich habe bei meinem letzten Besuch etwas hier vergessen. Sie haben es nicht zufällig gefunden und weggeräumt?«, fragte er Winters Großmutter, nachdem er sie im Wohnsalon aufgespürt hatte, wo sie Tee trank und sich einer Stickerei widmete.

»Was haben Sie denn vergessen? Und nein, ich habe natürlich nichts weggeräumt.«

»Sind Sie sicher? Denken Sie bitte noch mal genau nach. Es handelt sich um ein paar kleine Glasfläschchen«, versuchte er, ihrem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen. »Ich hatte sie in Ihrer Frisierkommode deponiert.«

Sie schaute in die Luft und spitzte die Lippen. »Tut mir leid, aber ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen.«

Emmerich schaute ihr direkt in die Augen. Sie verzog keine Miene und hielt seinem Blick mit hochgezogenen Brauen stand. Es gab keinen Hinweis darauf, dass sie nicht die Wahrheit sagte, aber Emmerich wusste es besser. Lügen war eine Kunst, die er bereits im Kindesalter perfekt beherrscht hatte. Tarnen und täuschen – zwei essenzielle Fähigkeiten, um im Waisenhaus zu überleben. Er war ein Meister des Schwindels, und er erkannte seinesgleichen.

»Liebe Frau Winter, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar für Ihre Gastfreundschaft«, setzte er an, »aber ich brauche die Fläschchen und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sie mir wiedergeben würden.«

Sie stickte seelenruhig weiter an etwas, das wohl ein Wappen darstellen sollte. Emmerich fragte sich, ob sie gerade Schwerhörigkeit oder Vergesslichkeit simulierte oder einfach nur unglaublich unverfroren war.

»Es handelt sich um ein wichtiges Medikament. Mein Bein wurde an der Front verwundet.



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